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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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hilft, so gut er kann, wäscht sich fast alleine und rasiert sich, aber kurz bevor alle Bartstoppeln entfernt sind, verlässt ihn die Kraft, und der Rasierapparat plumpst brummend auf die Bettdecke. Ich helfe ihm bei der Vollendung der Rasur, dann ist das Kapitel Körperpflege abgeschlossen. Der Prüfer lehnt stumm wie ein Fisch am Fenster und macht sich Notizen. Eine heimelige Arbeitsatmosphäre – ich bin geneigt, Herrn Wuttke darüber in Kenntnis zu setzen, dass sich eine zweite Person mit im Raum befindet, die sich entschlossen hat, nichts zu sagen, möchte ihn aber nicht ängstigen. Aber vielleicht hört Herr Wuttke den Prüfer atmen?
    Ich mache den Verbandwechsel der Operationsnarbe am Brustkorb. Lehrbuchgemäß wird desinfiziert, inspiziert und ein neues Pflaster aufgeklebt, jeden einzelnen Arbeitsschritt teile ich Herrn Wuttke mit. Nun muss ich das Tracheostoma neu verbinden, und das geht nicht alleine, also frage ich den Prüfer pro forma, ob er mir hilft oder ob ich mir jemanden von den Kollegen holen soll. Er erwidert, ich soll mir jemanden von den Kollegen holen. Draußen auf dem Flur muss ich erkennen, dass alle, die nicht wegen eines Notfalls auf dem Flur herumrennen, in den Zimmern mit den Patienten beschäftigt sind. Kein Wunder, um diese Uhrzeit müssen alle gewaschen, gepflegt und frisch gebettet werden. Im vorderen Bereich der Station ist zudem gerade Hektik wegen einer Aufnahme aus der Ambulanz ausgebrochen, und ich traue mich nicht, dort jemanden zu bitten. Also kehre ich zu Herrn Wuttke zurück und bitte den Prüfer, mit anzufassen. Stumm wie ein Fisch legt er das Schreibbrett auf die Fensterbank und hilft mir bei der Wunddesinfektion, indem er die Trachealkanüle festhält. Ich lege eine frische Kompresse um das Tracheostoma und fixiere all das mit einem gepolsterten Band, welches einmal um den Hals von Herrn Wuttke gelegt und an beiden Enden der Trachealkanüle mit einem Klettverschluss gesichert wird. Der Patient muss plötzlich fürchterlich husten und produziert eine riesige Portion knallgelbes eitriges Sekret, das vorne aus der Kanüle quillt. Er bekommt vor lauter Stress kaum Luft, und in diesem Moment erweist sich die Anwesenheit des Prüfers sogar als nützlich. Während ich den sterilen Absaugkatheter mit der Saugung zusammenstecke, redet er so lange leise auf den Mann ein, der sich allmählich wieder beruhigt. Dann bin ich endlich fertig, stelle die Saugung aus und schaue mir Herrn Wuttke an – er wirkt sehr angestrengt, Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn. Als ich auf den Monitor gucke, sehe ich, dass der Mann Fieber bekommt. Warum ist mir das eigentlich nicht schon früher aufgefallen? Herr Wuttke ist nun dermaßen erschöpft, dass es kein guter Einfall wäre, ihn einfach weiter spontan atmen zu lassen. Deshalb schließe ich ihn wieder an das Beatmungsgerät an. Der Prüfer lehnt wieder stumm wie ein Fisch am Fensterbrett und macht sich Notizen. Ich gehe aus dem Zimmer, um mir jemanden von den Ärzten zu suchen, denn Herr Wuttke ist mir nach all dem doch eine Spur zu fertig.
    Der Vollbart ist gestresst, aber kommt mit zu Herrn Wuttke, der verschwitzt und frierend im Bett liegt. Ich ziehe ihm die Bettdecke bis zu den Schultern und hole eine zweite Decke. Der Vollbart ordnet ein fiebersenkendes Medikament an und verlässt das Zimmer, um sich mit den Oberärzten über eine neue Antibiose zu beraten. Ein weiterer Infekt könnte das Ende von Herrn Wuttke bedeuten. Die Sichtstunde hat somit ein vorzeitiges Ende. Der Mann brauche Ruhe, sage ich dem Prüfer, wobei meine Stimme krächzend zwei Oktaven tiefer rutscht. Die Klimaanlage führt bei meiner im Eilschritt fortschreitenden Erkältung zu einem soliden Damenbass.
    Im Besprechungszimmer beginnt der Prüfer sogleich Kritik an mir zu üben. «Ich habe den Eindruck, du nimmst das hier alles nicht so richtig ernst.»
    «Wie bitte?», frage ich und muss husten. Ich hätte den Patienten doch mobilisieren wollen, von dem Verbandwechsel hätte er nicht genug gesehen und quakquakquak. Ich erwidere, er möge sich doch bitte einmal vorstellen, wie er sich fühlen würde, mit Fieber aus dem Bett und auf die Bettkante gesetzt zu werden.
    «Ich würde um mich treten», füge ich hinzu. Und was heißt nicht «genug gesehen»? Hätte ich den Patienten nochmal aufschneiden sollen, damit der Verbandwechsel umfangreicher geworden wäre? Weil ich nun, sicherlich auch bedingt durch meine fragile Konstitution, vollkommen in Rage bin, deute ich mit
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