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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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«psychosoziale Fellpflege».
    Ach, und es klingeln schon die Besucher, die gerne hineinwollen. Es ist Wochenende, da wird die Bude voll. Also alles beim Alten.
     
    In meinem Bereich liegt Frau Schnabel. Sie erholt sich von einer Herzoperation und war einige Tage lang sehr verwirrt. Jetzt schläft sie friedlich. Weil ich es als ein schweres Verbrechen empfinde, schlafende Menschen zu wecken, nur um ihnen mitzuteilen, dass ich heute Nachmittag die betreuende Krankenschwester bin, lasse ich sie in Ruhe schlummern. Wir haben den ganzen Nachmittag Zeit, uns kennenzulernen, denke ich. Vor dem Fenster hüpfen emsig Meisen durchs Geäst. Die Sonne scheint, und der Himmel ist blau.
    Dass ich die Rechnung eventuell ohne den Wirt gemacht habe, verdeutlicht sich am gegenüberliegenden Bettplatz. Auf dem Kurvenwagen auf dem untersten Regal liegt ein großer Plastikbeutel mit Kleidungsstücken. Die Patientin ist nicht da. Allerlei aufgerissenes Verpackungsmaterial dringend benötigter Sterilgüter quillt aus den Papierkörben, Kleckse von orangefarbenem Desinfektionsmittel auf dem Fußboden lassen vermuten, dass es hier schon eine Menge Stress gegeben haben muss. Auch der Anblick meiner leicht zerfleddert wirkenden Kollegin aus dem Frühdienst gibt genug Anlass zu der Annahme, dass der Gegner in diesem Match gut trainiert hat – es wird eine wahre Herausforderung werden.
    Zwei Stunden zuvor habe der Notarzt eine etwa vierzigjährige Frau unter Reanimation auf die Intensivstation gebracht, die im Garten im Beisein ihres Mannes plötzlich einfach umgekippt sei. Höchstwahrscheinlich ein Herzinfarkt. Fraglich seien suffiziente Ersthelfermaßnahmen, der Ehemann war so aufgeregt und panisch, dass er keinen zusammenhängenden Satz zustande bringen konnte.
    Man habe es kaum geschafft, sie zu stabilisieren, immer wieder Kammerflimmern, Hektik, defibrillieren, zentralvenösen Zugang legen, alles schnell, alles schwierig, mieser Kreislauf, «Scheiße, ich kann die nicht punktieren!», Gerenne, neue Verpackungen aufreißen, Desinfektion, alles wieder hinschmeißen, nochmal defibrillieren, auf dem verschütteten Desinfektionszeugs ausrutschen. Jetzt sei sie leidlich stabil im Herzkatheterlabor – ausatmen. Ich überlege, ob ich nicht doch lieber nach Hause möchte. Da liegt ja noch so viel Wäsche, und der Rasen könnte auch mal wieder gemäht werden. Aber: Essig ist’s damit!
    Der Star kommt um die Ecke. «Na, wie sieht es bei dir aus?» Die Frage ist rhetorisch; sie will nur von ihrem eigenen Leid ablenken, denn sie hat das Hippo im Schlepptau und für den Rest des Tages am Hals. Oh nein! Nicht das Hippo! Es handelt sich um eine Krankenschwesternschülerin, die auf der Suche nach großen Sensationen auf der Intensivstation Erfahrungen sammeln will. Im Wege stehen ihr leider unzählige überflüssige Kilos, was mir im Prinzip egal sein könnte, wenn diese sie nicht so kolossal in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken würden. Ein schnelles Zur-Seite-Springen ist ihr kaum möglich, sie steckt in ihrer grünen Kluft wie eine Wurst in der Pelle und zupft und fummelt permanent am verrutschenden Kittel herum und – sie steht ständig im Weg. Kunststück. Wie ein Paparazzo auf der Suche nach dem ultimativen Superbild ist sie grundsätzlich als Erste vor Ort, kann dann aber dort mangels Wissen und Erfahrung wenig ausrichten. Der beste Platz zum Gucken ist leider immer der, an dem alle vorbeimüssen. Wie eine deutsche Eiche steht Hippo da und bewegt sich in der Regel erst nach sehr deutlichen Worten. Ich hatte gehofft, dass ihr Einsatz nach meinem Urlaub längst beendet sein würde, aber dem ist offenbar nicht so.
     
    Telefonisch wird mir mitgeteilt, dass die Patientin, Frau Kampe, weiterhin instabil und gleich mit einer IABP zurück auf die Station kommt. Mit einer IABP [1] . Großartig. Das bedeutet eine behagliche Geräuschkulisse, ein permanentes pulssynchrones Rumpeln, Gepiepe bei Störungen, als wenn es nicht schon genug rumpelt, und noch mehr Kabelsalat. Mit dem sicheren Gespür für nahende medizinische Desaster bekommt Hippo sofort Ohren wie Rhabarberblätter und riecht Lunte: Bei mir im Zimmer wird es heute richtig zur Sache gehen!
    Während der Star und ich überlegen, wie wir uns auf das Ganze am besten vorbereiten, stapft Hippo schon durch die Räumlichkeiten, fragt, quatscht und weckt die schlafende Frau Schnabel im Nebenbett auf. «Wo bin ich?», fragt die alte Dame verwirrt. Bravo, Hippo, eine reife Leistung.
    Dann hören
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