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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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wir schon das Gepiepe und Gerumpel der sich nahenden mobilen Beatmungseinheit und der angekündigten Gerätschaft, die es um die bereits im Flur stehenden Besucher herumzulenken gilt. Das Spiel beginnt.
    Wir beauftragen Hippo, Frau Schnabel zu betreuen und von dem ganzen Krawall abzulenken, vielleicht möchte sie ja einen Tee haben. Warum muss diese bemitleidenswerte Person überhaupt in diesem ausgewiesenen Katastrophengebiet liegen? Die wahrlich brennenden Fragen kommen einem aber immer erst dann in den Sinn, wenn es zu spät ist. Augen zu und durch, Hauptsache, Hippo ist beschäftigt und fährt uns nicht in die Parade.
    Der Maschinenpark wird mit einem ordentlichen Schwung in den Raum gefahren, nachdem ein fasziniert staunendes Ehepaar sich endlich entschieden hat, weiterzugehen. Es ist plötzlich so voll, dass der Star und ich uns fast aus den Augen verlieren, denn die Ärztin – Frau Anzug – aus der Frühschicht ist auch dabei, und der ganze Kram fährt nicht von alleine. Frau Anzug hegt eine besondere Leidenschaft für schicke Hosenanzüge, um das Tragen von grünem Baumwollknitter auszugleichen. Gemeinsam versuchen wir nun, Herr der Lage zu werden, zwischen der rumpelnden IABP und dem Beatmungsteil auf Rädern mit den schweren Gasflaschen, das solide am Fußteil des Bettes festgeschraubt wurde. Ein konfuses Durcheinander beginnt: Infusionsflaschen und Zuleitungen werden sortiert, Spritzenpumpen schleunigst eingespannt, EKG -Kabel entwirrt. Zurufe, Fragen nach Dosierungen, «Wie hoch läuft das denn hier?», Diagnosen und Vermutungen schwirren durch den Raum. Wir stellen fest, dass noch geröntgt werden sollte. Doch kaum haben wir eine vernünftige EKG -Ableitung auf dem Monitor, fängt die Flimmerei wieder an. Alle sind bis in die Haarspitzen angespannt. Auch das Hippo ist völlig aus dem Häuschen – endlich die ersehnte Action, was für eine verdammte Show!
    Im Grunde nehme ich die Patientin erst jetzt als Person und nicht nur als Diagnose wahr. Frau Kampe ist Mitte vierzig, sie hat halblange dunkle Haare und eine schön geschwungene Nase. Merkwürdig, dass mir das in diesem Moment auffällt. Während Frau Anzug mit der Herzdruckmassage beginnt und der Star mit flackernden Augen die Medikamente auf Zuruf in die Zugänge spritzt, gelingt es mir, mit der Eleganz einer Antilope an der IABP vorbei in den Flur zu springen – mitten hinein in eine Gruppe Besucher, die natürlich rein zufällig vor dem Zimmer zum Stehen gekommen ist. «Wo liegt denn Herr Hellmann?», höre ich einen Mann fragen, während ich versuche, den dringend benötigten Defibrillator, der wegen Überfüllung des Zimmers kurzfristig im Flur zwischengeparkt wurde, um seine Beine herum zu bugsieren. Wen sucht er? Just in dem Moment fahre ich das Gerät einer älteren Dame in den Hintern, woraufhin die sich empört umdreht – und stehen bleibt. Eine klare Pattsituation, die mich wenn auch nur kurz außer Gefecht setzt: Ich muss vorbei, aber sie steht im Weg. Vielleicht ist der Unterschied zwischen dem Wahnsinn bei uns im Krankenhaus und dem Rest der Welt gar nicht so groß, wie ich immer denke. Es ist wie draußen in der freien Wildbahn, wenn man auf dem Fahrrad klingeln muss und sich die Leute umdrehen, verdutzt gucken und stehen bleiben, womit ihr Schicksal besiegelt ist. Man fährt in sie hinein.
    Ein Schienenfahrzeug für die Belegschaft auf der Intensivstation zu installieren, wäre gewiss eine sinnvolle Idee, so etwas wie einen Auto-Scooter oder ein Papa-Mobil. Sinngemäß heißt es ja, dass die meisten Deutschen ihr Auto nicht dafür brauchen, um schnell und trocken von einem Ort zum anderen zu kommen, sondern um Recht zu haben. Man kann hupen oder klingeln oder gleich das Martinshorn anschmeißen, je nach Dringlichkeit. Und es wird einem Recht gegeben. Zähneknirschend, aber prompt.
    «Wenn ich hier mal vorbeidürfte, es eilt ein wenig.» Ich versuche freundlich zu klingen, es kommt aber nur ein undeutliches Knurren heraus. Augenscheinlich macht aber der Ton die Musik, und die Frau geht zur Seite. Der Punkt geht an mich. Meine Zufahrt ins Zimmer wird jäh vom Hippo vereitelt, die natürlich bei der alten Frau alles stehen und liegen gelassen hat und zur Tür hinausgewalzt kommt, weil irgendjemand sie leichtsinnigerweise damit beauftragt hat, irgendwas zu holen.
    Die Lage ist weiterhin prekär, Frau Anzug schwitzt und drückt weiter auf dem Brustkorb dieser armen Frau herum. Das Bett ist für eine länger andauernde Beatmung
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