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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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kam.
    Unter ihm lagen große Haufen aus Kohle und Erz, und mitten dazwischen stand ein hohes, achteckiges, rotgestrichenes Gebäude,
     das ein helles Flammenbündel zum Himmel emporsandte.
    Anfänglich glaubte der Junge, daß es eine Feuersbrunst sei, da aber sah er, daß die Leute da unten ganz ruhig umhergingen,
     ohne sich auch nur das geringste umdas Feuer zu kümmern, und nun konnte er nicht begreifen, wie das zusammenhing.
    »Was für ein Ort ist dies, wo sich niemand darum kümmert, daß ein Haus in hellen Flammen steht?« rief der Junge hinab.
    »So ein Feigling! hat Angst vor dem Feuer!« zwitscherten die Buchfinken, die am Waldessaum wohnten und von allem, was sich
     in der Nachbarschaft zutrug, genau Bescheid wußten. »Er weiß nicht, wie das Eisen aus dem Erz herausgeschmolzen wird. Er kennt
     nicht den Unterschied zwischen dem Feuer aus einem Schmelzofen und einer Feuersbrunst!«
    Bald ließen sie den Schmelzofen hinter sich, und wieder saß der Junge da und sah gerade vor sich hin, denn er glaubte, daß
     in dieser Waldgegend nicht viel zu sehen sei. Aber sie waren noch nicht weit geflogen, als er unten von der Erde einen fürchterlichen
     Lärm und Spektakel aufsteigen hörte.
    Als er hinabsah, erblickte er erst einen kleinen Bach, der mit starkem Gefälle eine Bergwand hinabstürzte. Neben dem Wasserfall
     lag ein großes Gebäude mit schwarzem Dach und hohem Schornstein, der einen dicken, mit Funken vermischten Rauch entsandte.
     Vor dem Gebäude lagen Eisenklumpen und Eisenstangen und ganze Berge von Kohlen. Die Erde war in weitem Umkreis schwarz, und
     nach allen Seiten gingen schwarze Wege. Aus dem Gebäude ertönte ein unbeschreiblicher Lärm. Es bullerte und prustete. Es klang,
     als wenn jemand mit starken Schlägen versuchte, sich gegen ein fauchendes, wildes Tier zu verteidigen. Aber das Sonderbare
     war, daßniemand sich darum kümmerte, was da vor sich ging. Eine Strecke weiter lagen Arbeiterwohnungen unter grünen Bäumen, und noch
     ein wenig weiter ragte ein großes, weißes Herrenhaus auf. Aber vor den Arbeiterwohnungen spielten die Kinder ganz ruhig, und
     in der Allee, die zu dem Herrenhaus hinaufführte, gingen Leute in höchster Gemütsruhe.
    »Was für ein Ort ist dies, wo sich niemand darum kümmert, daß die da im Hause einander totschlagen?« rief der Junge auf die
     Erde hinab.
    »Hak, ak, ak! Weiß der aber gut Bescheid! Hak, ak, ak!« schnatterte eine Elster. »Da wird niemand in Stücke zerrissen. Es
     ist das Eisen, das siedet und sprüht, wenn es unter den Hammer gelegt wird.«
    Bald ließen sie das Eisenwerk hinter sich, und der Junge saß wieder da und sah geradeaus, denn er dachte, hier in der Waldgegend
     könne nicht viel zu sehen sein.
    Als sie eine Weile geflogen waren, hörte er eine Glocke läuten, und er mußte noch einmal hinabgucken, um zu sehen, woher der
     Ton kam.
    Da sah er unter sich einen Bauerhof, wie er nie etwas Ähnliches gesehen hatte. Das Wohnhaus war ein langes, rotgestrichenes,
     einstöckiges Gebäude, und es war nicht so übermäßig groß, aber was ihn in Erstaunen versetzte, das waren alle die großen,
     gutgebauten Wirtschaftsgebäude, die es umgaben. Der Junge wußte ungefähr, wie viele Wirtschaftsgebäude zu einem Hofe gehören,
     aber hier hatten sie offenbar das Doppelte oder Dreidoppelte von allem. So einen Überfluß von Gebäuden hatte er sich nicht
     träumen lassen. Und er konnte auch nicht begreifen,was darin aufgehoben werden sollte, denn da waren fast gar keine Felder in der Nähe des Hofes. Er sah einige kleine Felder
     drinnen im Walde, aber teils waren sie so klein, daß er sie kaum Felder nennen würde, teils war schon auf einem jeden eine
     Scheune, um aufzunehmen, was da geerntet werden konnte.
    Auf dem Stalldach hing die Essenglocke unter einer Kapuze, und die hatte geläutet. Der Hausherr ging mit seinen Knechten in
     die Küche, und der Junge sah, daß er viele und gutgewachsene Leute hatte.
    »Was für Leute sind das, die solche große Gehöfte mitten in den Wald bauen, wo gar keine Felder sind?« rief der Junge auf
     die Erde hinab.
    Der Hahn stolzierte auf dem Misthaufen und blieb ihm die Antwort nicht schuldig.
    »Alter Bergmannshof. Alter Bergmannshof,« krähte er. »Die Felder liegen unter der Erde! die Felder liegen unter der Erde!«
    Jetzt wurde es dem Jungen klar, daß es keine gewöhnliche Waldgegend war, über die man hinwegfliegen konnte, ohne sie zu beachten.
     Wälder und Berge waren da freilich überall,
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