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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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keinen Überblick über das Eis hatten. Sie vermochten nicht zu sehen, wo
     die Spalte so breit waren, daß sie nicht darüber hingelangen konnten. Sie wußten nicht, wo sie die großer Eisschollen finden
     sollten, die sie tragen konnten. Daher wankten sie aufs Geratewohl hin und her. Sie kamen weiter auf den See hinaus, statt
     sich dem Ufer zu nähern. Sie wußten nicht aus noch ein da draußen auf dem berstenden Eis, und sie waren so bange, daß sie
     schließlich stehen blieben und weinten.
    Da kam eine Schar wilder Gänse in gestrecktem Flug über ihren Köpfen daher. Sie schrien laut und stark, und das Sonderbare
     war, daß die Kinder deutlich die Worte hörten: »Ihr müßt nach rechts gehen, nach rechts, nach rechts!«
    Sie setzten sofort ihre Wanderung fort, den Rat befolgend. Aber es währte nicht lange, da standen sie wieder zögernd vor einem
     breiten Spalt.
    Wieder hörten sie die Gänse über ihren Köpfen schreien, und aus ihrem Gegacker konnten sie einige Worte unterscheiden: »Bleibt,
     wo ihr seid! Bleibt, wo ihr seid! Bleibt, wo ihr seid!«
    Die Kinder sprachen kein Wort miteinander über das, was sie hörten, aber sie gehorchten und standen still. Nacheiner Weile glitten die Eisschollen zusammen, und sie konnten über den Spalt gelangen. Dann gaben sie sich wieder die Hände
     und liefen weiter.
    Sie ängstigten sich nicht nur vor der Gefahr, sondern auch vor der Hilfe, die ihnen zuteil wurde.
    Bald standen sie wieder still und besannen sich, aber sofort hörten sie eine Stimme von oben aus der Luft: »Geradeaus! Geradeaus!
     Geradeaus!« sagte die Stimme.
    So ging es ungefähr eine halbe Stunde weiter, da aber hatten sie die lange Lungarsodde erreicht und konnten das Eis verlassen
     und an Land waten. Es war deutlich zu sehen, wie bange sie gewesen waren, denn als sie an Land gekommen waren, blieben sie
     nicht einmal stehen, um sich den See anzusehen, auf dem die Wellen jetzt immer gewaltsamer mit den Eisblöcken herumtummelten,
     sondern sie eilten nur weiter. Aber als sie eine Strecke auf die Landzunge hinaufgekommen waren, stand Aase plötzlich still.
     »Warte mal, kleiner Mads,« sagte sie, »ich habe etwas vergessen.
    Und sie ging wieder hinab an den See. Dort begann sie in ihrem Beutel zu wühlen und zog schließlich einen kleinen Holzschuh
     heraus. Den stellte sie auf einen Stein, wo man ihn ganz deutlich sehen konnte, und dann kehrte sie zu Mads zurück, ohne sich
     noch einmal umzuwenden.
    Kaum aber hatte sie dem See den Rücken gekehrt, als eine große, weiße Gans wie ein Blitz aus der Luft herunterschoß, den Holzschuh
     ergatterte und mit derselben Eile wieder in die Luft hinausschoß.

XXV. Die Erbteilung
    Donnerstag, 28. April.
    Als die Wildgänse dem Gänsemädchen Aase und dem kleinen Mads über den Hjelmarn geholfen hatten, flogen sie geradewegs gen
     Norden bis sie nach Vestmanland hineingelangten. Dort ließen sie sich auf einem der großen Felder im Fellingsbroer Kirchspiel
     nieder, um auszuruhen und zu fressen.
    Niels Holgersen war auch hungrig, schaute aber vergeblich nach etwas Eßbarem aus. Während er dastand und sich nach allen Seiten
     umsah, entdeckte er auf dem benachbarten Felde ein Paar Männer, die pflügten. Plötzlich ließen sie die Pflüge stehen und setzten
     sich hin, um Frühstück zu essen. Der Junge lief hinter ihnen drein und schlich sich hinter die beiden Männer. Es war ja nicht
     unmöglich, daß er einige Brotkrumen oder eine Kruste finden würde, wenn sie fertig waren.
    An dem Felde entlang ging ein Weg, und auf dem kam ein alter Mann gegangen. Als er die beiden Pflüger sah, blieb er stehen,
     kroch über den Zaun und ging zu ihnen heran. »Ich wollte auch gerade frühstücken,« sagte er, nahm seinen Ranzen ab und holte
     Brot und Butter heraus. »Es ist schön, daß ich nicht allein am Grabenrande zu sitzen brauche,« fuhr er fort. Und dann geriet
     er in Unterhaltung mit den beiden Pflügern, und sie erfuhren bald, daß er ein Grubenarbeiter aus Norberg war. Jetzt arbeitete
     er nicht mehr. Er war zu alt, um auf den Grubenleitern auf und nieder zu klettern, aber er wohnte nochin einem Häuschen in der Nähe der Grube. Er hatte eine Tochter in Fellingsbro verheiratet; die hatte er eben besucht, und
     sie wollte, daß er zu ihr ziehen sollte, aber dazu konnte er sich nicht entschließen.
    »Ihr findet also, daß es hier nicht schön ist wie in Norberg?« fragten die Bauern mit einem Lächeln, denn sie wußten ja, daß
     Fellingsbro eines
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