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Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)

Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)

Titel: Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
Autoren: Emilie Richards
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1. KAPITEL
    D er alte Mann meldete sich noch immer nicht.
    Tracy Deloche ballte die Hand zur Faust und klopfte an den Rahmen von Herb Krauses Fliegengittertür. Sie zuckte zusammen, als sie sich einen Splitter einfing.
    Ungeduldig drehte sie die Hand um und zog mit Fingernägeln, die dringend der Hilfe ihrer Lieblingsnagelpflegerin bedurften, den ärgerlichen Holzsplitter heraus. Leider war die herzensgute Hong Hanh mehr als dreitausend Kilometer von ihr entfernt und feilte und polierte gegen eine stattliche Vergütung Fingernägel im Beverly Wilshire Hotel. Tracy hingegen klopfte und schrie und versuchte, Herbert Krauses mickrige Miete einzutreiben, damit sie ihren Kühlschrank und ihren Tank füllen konnte.
    „Mr. Krause, sind Sie zu Hause?“, rief sie. „Was ist bloß los?“, murmelte sie, als niemand antwortete. Hinter dem Haus sah sie seinen alten Dodge stehen. Sie war sich sicher gewesen, den richtigen Zeitpunkt erwischt zu haben. Doch offensichtlich hatte sie heutzutage fürs Geldeintreiben ein ebenso gutes Händchen wie für alles andere.
    Tracy ließ sich auf eine Holzbank neben drei sorgfältig angeordneten Orchideen in Tontöpfen fallen. Etwas Grünes, Schleimiges flitzte hinter ihr entlang und verschwand in der Streu aus Louisianamoos, die die Beete bedeckte. Das war typisch für Florida – es wimmelte nur so von Lebewesen, die an einem vorbeihuschten und von denen einige mehr dürre Beinchen hatten als ein Eimer voller Hähnchenschenkel.
    Happiness Key. Was übersetzt auch so viel hieß wie „Der Schlüssel zum Glück“. Sie musste sich ein Lachen verbeißen.
    Ihr Ex-Ehemann C J war verantwortlich für den Namen des „Bauprojekts“, das aus Herbs sowie vier weiteren Häuschen bestand. In einem seltenen Versuch, poetisch zu sein, hatte C J dieses Loch das Yin und Yang von Florida genannt. Auf der einen Seite weiße Sandstrände mit hohen Palmen, die sich in der sanften tropischen Brise wiegten. Auf der anderen Seite die Schönheit der unverfälschten Natur Floridas. Mangroven und Alligatoren, exotische Zugvögel und Sümpfe, in denen die süße Melodie von Mutter Natur niemals verstummte. Wer könnte an einem Ort wie diesem nicht glücklich werden? Vor allem C J, der sich ausgemalt hatte, sein beachtliches Vermögen noch auszubauen, indem er das Land erschloss und einen Großteil dieser Natur dafür opferte – sein Traum waren ein Jachthafen und exklusive Eigentumswohnungen für wohlhabende Leute gewesen, die den Winter in Florida verbrachten.
    Von der Seite von Herbs Häuschen her drang das Summen einer Klimaanlage an Tracys Ohr. Bei dem Geräusch bekam sie Zahnschmerzen. Ein Besuch bei Herb war so, als verbrachte man den Sommer in der Antarktis. Wie lange würde es noch dauern, bis das Gerät seinen Geist aufgeben, auf der Mülldeponie des Sonnenstaates landen und sie Hunderte von Dollar für ein neues würde ausgeben müssen? Herb war vermutlich älter als die Mangrovenbäume, die den Zugang zur Bucht blockierten, und älter als die Grabhügel am anderen Ende des Palmetto Grove Key, wo die ersten Siedler Floridas ihre Toten bestattet hatten. Kein Wunder, dass sein innerer Thermostat aus dem Tritt geraten war. Tracy war nur froh, dass der alte Mann selbst für seinen Strom bezahlte. Die Wohnung eines älteren Bürgers zwangsräumen zu lassen, um ein paar Dollar zu sparen, würde ihr die öffentliche Aufmerksamkeit bescheren, die sie im Moment wirklich nicht gebrauchen konnte.
    Davon hatte sie in Kalifornien schon genug gehabt.
    Sie lehnte sich an die Hauswand aus Betonsteinen, verschränkte die Arme und schloss die Augen. Seit sie an diesem Morgen aus dem Bett gestiegen war, hatte sie nicht auf die Uhr geschaut, doch sie nahm an, dass es ungefähr neun Uhr war.
    Die Luft begann allmählich zu flirren. Im Mai herrschten an der Golfküste Floridas bereits hochsommerliche Temperaturen. Natürlich hatte sie hier noch keinen Hochsommer miterlebt, also war der Juni vermutlich noch schlimmer. Wahrscheinlich war es im Juni unerträglich. Doch was machten schon ein paar Grad Lufttemperatur, wenn man bedachte, wie unerträglich ihr ganzes Leben seit der Scheidung von C J geworden war? Sollte die Luftfeuchtigkeit ruhig so hoch sein, dass man die Luft schneiden konnte. Was kümmerte es sie? Sie würde damit fertig werden und etwas daraus machen.
    Das war ihr neues Mantra. Und sie hatte nicht einmal irgendeinem selbst ernannten Guru von der Westküste oder seinen ergebenen Anhängern ein Vermögen bezahlt,
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