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Der zögernde Schwertkämpfer

Der zögernde Schwertkämpfer

Titel: Der zögernde Schwertkämpfer
Autoren: Dave Duncan
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»Verfüge über mein Herz getreu Deiner Gesetze«, intonierte Honakura in inbrünstigem Singsang, während er die zitternde linke Hand auf die schimmernde, glatte Fläche des gefliesten Bodens legte.
    »Laß mich Deinem Willen mit all meiner Kraft dienen«, winselte er, wobei er sich wie üblich bei den hohen Tönen überschlug, und legte die ebenso zartgliedrige rechte Hand neben die linke.
    »Und lasse meine Augen Deine Absichten erkennen.« Das war der kritische Teil – das Ritual hätte von ihm erfordert, daß er mit der Stirn das Mosaik berührte, doch in den vergangenen fünfzehn Jahren war ihm dieses Kunststück nicht gelungen. Er krümmte sich soweit nach vorn, wie es nur ging. Wenn es der Göttin gefallen hatte, seine alten Glieder steif werden zu lassen, dann mußte sie sich eben mit der Leistung zufriedengeben, die er zustande brachte … und natürlich würde sie das auch.
    Er verharrte eine Zeitlang mit erheblicher Anstrengung in dieser Stellung und hörte das leise Leiern der anderen Priester und Priesterinnen, die ganz in der Nähe ebenfalls die morgendliche Weiheandacht absolvierten. Dann stieß er ein verhaltenes und außerplanmäßiges »Uff!« der Erleichterung aus und lehnte sich wieder nach hinten, bis er auf den Absätzen hockte; er legte die Handflächen aneinander und blickte Sie voller Anbetung an. Jetzt stand ihm ein stilles und sehr persönliches Gebet zu, eine private Anrufung. Er brauchte nicht zu überlegen, was ihm am Herzen lag, heute genausowenig wie die Tage zuvor. Allerhöchste Göttin, unternimm etwas wegen der Schwertkämpfer in Deiner Wachmannschaft!
    Sie antwortete nicht. Er hatte es auch nicht von Ihr erwartet. Dies war nicht die Göttin selbst, sondern lediglich ein Abbild, um bescheidenen Sterblichen bei der Vorstellung Ihrer Größe eine Hilfe zu sein. Wer wußte das besser als ein Priester der Siebten Stufe? Doch Sie hörte sein Gebet, und eines Tages würde Sie ihm antworten.
    »Amen!« trillerte er.
    Jetzt konnte er anfangen, seinen Tag zu planen, doch einen Moment lang blieb er noch auf den Absätzen kauern, hielt die Hände weiterhin nachdenklich aneinandergelegt und blickte liebevoll zur Allerhöchsten Majestät und zu dem riesigen steinernen Gitterwerk über Ihr hinauf, zum Dach Ihres Tempels, dem heiligsten aller heiligen Orte der Welt.
    Er hatte viele Termine auf dem Tagesplan – ein Treffen mit dem Schatzbewahrer, mit dem Ausbildungsmeister der Akolythen, mit vielen anderen, die fast alle irgendwelche Ämter innehatten, die Honakura selbst zu irgendeinem Zeitpunkt bekleidet hatte. Jetzt war er nur noch Dritter Stellvertretender Vorsitzender des Rates der Würdenträger. Dieser harmlos klingende Titel verschleierte mehr, als er enthüllte. Macht, so hatte er schon vor langer Zeit entdeckt, wird am besten im verborgenen ausgeübt.
    Um ihn herum endeten die morgendlichen Weiheandachten. Es wurden bereits die ersten der vielen Pilger des heutigen Tages hereingeführt, damit sie ihre Gaben und Bittgesuche loswerden konnten. Geld fiel klimpernd in die Schalen; Gebete wurden gemurmelt, begleitet vom leisen Soufflieren der Priester. Zunächst würde er, so beschloß Honakura, bei einigen Pilgern selbst die Führung übernehmen. Es war ein würdiger Dienst an Ihrer Allerheiligkeit; es war eine Aufgabe, die ihm Spaß machte, es war ein gutes Beispiel für den Nachwuchs. Er senkte die Hände und blickte sich um in der Hoffnung, daß jemand praktischerweise in der Nähe war, um ihm beim Aufstehen zu helfen – was für ihn heutzutage keineswegs mehr zu den leichtesten Übungen gehörte.
    Sofort war eine braune Robe neben ihm, und starke Hände leisteten ihm Beistand. Mit einem leisen Dankesmurmeln gelangte Honakura auf die Beine. Er wollte sich gerade abwenden, als der Mann anfing zu sprechen.
    »Ich bin Jannarlu, Priester der Dritten Stufe …« Er entbot dem Höhergestellten seinen unterwürfigen Gruß, mit Worten und Handbewegungen und Verbeugungen. Im ersten Augenblick reagierte Honakura bestürzt und mißbilligend. Dieser junge Mann bildete sich doch wohl nicht ein, daß eine so geringfügige Hilfeleistung ihn dazu berechtigte, sich einem Lord der Siebten Stufe aufzudrängen? Dieser Ort hier, vor dem Sockel mit dem Abbild der Göttin, war das Allerheiligste Heiligtum, und wenn auch kein Gesetz eine Unterhaltung und formelle Begrüßung hier ausdrücklich verbot, so verstieß es doch gegen die guten Sitten. Dann erinnerte er sich an diesen Jannarlu. Er war der Enkel des
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