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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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nieder quoll. Vor den Stellen mußte man sich in acht nehmen, aber das war ja eine Kleinigkeit mitten am Tage in dem
     hellen Sonnenschein.
    Es ging schnell und leicht vorwärts, und die Kinder sprachen von nichts weiter, als wie klug sie gewesen waren, übers Eis
     zu gehen, statt die aufgeweichte Landstraße zu verfolgen.
    Als sie eine Strecke gegangen waren, kamen sie in die Nähe von Vinö. Da sah eine alte Frau sie von ihrem Fenster aus. Sie
     trat in die Tür hinaus, winkte ihnen und rief etwas, das sie nicht hören konnten. Sie verstanden sehr wohl, daß sie sie warnte,
     ihre Wanderung fortzusetzen. Aber sie, die selbst draußen auf dem Eis waren, konnten ja sehen, daß keine Gefahr vorlag. Es
     würde ja dumm sein, an Land zu gehen, wenn alles so vorzüglich ging.
    Sie wanderten also an der Vinö vorüber und hatten nun eine meilenweite Eisfläche vor sich. Hier draußen war stellenweise so
     viel Wasser auf dem Eis, daß die Kindergroße Umwege machen mußten. Aber das fanden sie nur ergötzlich. Sie wetteiferten, ausfindig zu machen, wo das Eis am besten
     war. Sie waren weder müde noch hungrig. Sie hatten den ganzen Tag vor sich, und sie lachten nur, wenn sie auf neue Hindernisse
     stießen.
    Von Zeit zu Zeit sahen sie nach dem gegenüberliegenden Ufer hinüber. Es schien noch so weit weg, obwohl sie schon eine gute
     Stunde gegangen waren. Sie waren ein wenig erstaunt, daß der See so breit war. »Es ist, als wenn das Ufer vor uns wegliefe,«
     sagte der kleine Mads.
    Hier draußen war kein Schutz gegen den Westwind. Er wurde mit jedem Augenblick heftiger und hüllte sie so fest in ihre Kleider,
     daß es ihnen schwer wurde, sich zu bewegen. Der starke Wind war die erste wirkliche Unannehmlichkeit, die ihnen auf der Wanderung
     begegnet war.
    Es wunderte sie, daß der Wind so merkwürdig stark dröhnte, als habe er den Lärm aus einer großen Mühle oder einer Fabrik mitgenommen.
     Aber so etwas gab es ja doch nicht da draußen auf der Eisfläche.
    Sie waren westlich um die große Insel Valen herumgegangen, und nun meinten sie, merken zu können, daß sie sich dem nördlichen
     Ufer näherten. Gleichzeitig aber wurde der Wind heftiger, und das gewaltige Bullern, das ihn begleitete, nahm so stark zu,
     daß sie anfingen, unruhig zu werden.
    Auf einmal kam ihnen der Gedanke, daß der Lärm, den sie hörten, von Wellen kommen könne, die schäumend und brausend gegen
     eine Küste schlugen, aber das war ja unmöglich, da der See noch mit Eis bedeckt war.
    Trotzdem blieben sie stehen und sahen sich um. Ganzdraußen, nach Westen zu, bei Björnö und Göcksholmsland gewahrten sie eine weiße Mauer, die quer über den See ging. Erst glaubten
     sie, es sei ein Schneerand, der an einem Wege entlang laufe, aber sie begriffen bald, daß es Schaum von Wellen war, die gegen
     das Eis schlugen.
    Als sie das sahen, gaben sie sich die Hände und fingen an zu rennen, ohne ein Wort zu sagen. Der See war nach Westen zu offen,
     und sie glaubten sehen zu können, daß der Schaumrand schnell nach Osten zu vorrückte. Sie wußten nicht, ob das Eis im Begriff
     war, überall aufzubrechen, oder was geschehen könne. Aber sie fühlten, daß sie nun in Gefahr waren.
    Plötzlich schien es ihnen, als höbe sich das Eis gerade an der Stelle, wo sie liefen, als höbe es sich und sinke wieder, als
     habe jemand von unten dagegen gestoßen. Dann hörten sie einen dumpfen Knall im Eis, und gleich bildeten sich nach allen Seiten
     Risse darin. Die Kinder konnten sehen, wie sie durch die Eiskruste liefen.
    Nun wurde es einen Augenblick still auf dem Eis, dann aber spürten sie wieder dasselbe Heben und Senken. Nun begannen die
     Risse, sich zu Spalten zu erweitern, durch die man das Wasser hervorquellen sah. Gleich darauf wurden die Spalte zu Rinnen,
     und die Eiskruste teilte sich in große Schollen.
    »Aase,« sagte der kleine Mads. »Ich glaube, dies ist Eisbruch!«
    »Ja, das ist es, kleiner Mads,« sagte Aase. »Aber wir können das Ufer noch erreichen. Laufe, so schnell du kannst.«
    In der Tat hatten der Wind und die Wellen noch genugdamit zu tun, das Eis von dem See zu entfernen. Die schwerste Arbeit war freilich getan, wenn erst die Eiskruste zerbrochen
     war, aber alle die Stücke sollten wieder geteilt und gegeneinander geworfen und zertrümmert und zerrieben und aufgelöst werden.
     Es war noch eine Menge hartes, festes Eis vorhanden, das große, ganze Schollen bildete.
    Die größte Gefahr für die Kinder aber war, daß sie
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