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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt
Autoren: Karin Slaughter
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1 . Kapitel
    F aith Mitchell kippte den Inhalt ihrer Handtasche auf den Beifahrersitz ihres Mini und suchte in dem Durcheinander nach etwas Essbarem. Bis auf einen pelzigen Streifen Kaugummi und eine Erdnuss zweifelhafter Herkunft gab es nichts auch nur entfernt Genießbares. Sie dachte an die Schachtel mit Energieriegeln in ihrem Küchenschrank, und ihr Magen machte ein Geräusch wie eine verrostete Türangel.
    Das Computerseminar, das sie an diesem Vormittag besucht hatte, hätte eigentlich nur drei Stunden dauern sollen, aber daraus waren wegen des Idioten in der ersten Reihe, der andauernd sinnlose Fragen stellte, viereinhalb geworden. Das Georgia Bureau of Investigation, GBI , trainierte seine Agenten häufiger als jede andere Strafverfolgungsbehörde in der Region. In regelmäßigen Abständen wurden ihnen Statistiken und Daten über kriminelle Aktivitäten in die Köpfe gehämmert. Sie mussten sich auskennen mit neuester Technologie; zweimal im Jahr mussten sie eine Schießprüfung ablegen; sie führten gestellte Razzien und Schusswechsel-Simulationen durch, die so intensiv waren, dass Faith auch Wochen danach noch nicht mitten in der Nacht auf die Toilette gehen konnte, ohne in den Türöffnungen nach Schatten zu suchen. Normalerweise wusste sie die Gründlichkeit der Agency durchaus zu schätzen. Heute aber konnte sie an nichts anderes denken als an ihr vier Monate altes Baby und an das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hatte, spätestens mittags zurück zu sein.
    Die Uhr am Armaturenbrett zeigte zehn nach eins, als sie den Motor anließ. Leise fluchend fuhr sie vom Parkplatz vor der Zentrale an der Panthersville Road. Sie benutzte Bluetooth, um die Nummer ihrer Mutter zu wählen. Aus den Autolautsprechern drang nur statisches Rauschen. Faith legte auf und wählte noch einmal. Diesmal bekam sie ein Besetztzeichen.
    Faith trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad und lauschte dem Blöken. Die Voicemail ihrer Mutter. Jeder hatte Voicemail. Faith konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal ein Besetztzeichen gehört hatte. Sie hatte das Geräusch schon fast vergessen. Wahrscheinlich gab es bei der Telefongesellschaft irgendeinen Kabelsalat. Sie legte auf und versuchte es noch ein drittes Mal.
    Immer noch besetzt.
    Faith lenkte einhändig und kontrollierte auf ihrem BlackBerry, ob ihre Mutter ihr eine E-Mail geschickt hatte. Bis zu ihrer Pensionierung war Evelyn Mitchell knapp vier Jahrzehnte lang Polizistin gewesen. Über die Polizeieinheiten Atlantas konnte man viel sagen, aber man konnte nicht behaupten, dass sie nicht auf der Höhe der Zeit wären. Evelyn hatte schon ein Handy gehabt, als sie noch eher aussahen wie Handtaschen, die man sich über die Schulter hängte. Sie konnte noch vor ihrer Tochter Mails schreiben. Und seit fast zwölf Jahren hatte sie ein BlackBerry.
    Aber heute hatte sie ihr keine Nachricht geschickt.
    Faith kontrollierte die Voicemail ihres normalen Handys. Sie hatte eine Nachricht ihres Zahnarztes abgespeichert, der sie daran erinnerte, einen Termin für eine Zahnreinigung zu vereinbaren, aber neue Mails gab es keine. Sie wählte die Nummer des Festnetzanschlusses bei sich zu Hause, weil sie dachte, dass ihre Mutter vielleicht zu ihr gegangen war, um etwas für das Baby zu holen. Faith wohnte nur ein paar Häuser von Evelyn entfernt. Vielleicht hatte sie keine Windeln für Emma mehr. Vielleicht hatte sie noch ein Fläschchen gebraucht. Faith hörte den Apparat bei sich zu Hause klingeln und dann ihre eigene Stimme, die den Anrufer bat, eine Nachricht zu hinterlassen.
    Sie legte auf. Ohne nachzudenken, schaute sie auf den Rücksitz. Emmas leerer Kindersitz war da. Sie konnte das rosafarbene Futter sehen, das über die Plastikschale hinausragte.
    » Idiotin«, fluchte Faith leise. Sie wählte die Handynummer ihrer Mutter. Mit angehaltenem Atem wartete sie drei Klingelzeichen ab. Evelyns Voicemail sprang an.
    Faith musste sich räuspern, bevor sie etwas sagen konnte. Sie merkte, dass ihre Stimme zitterte. » Mom, ich bin auf dem Heimweg. Schätze, du bist mit Em spazieren…« Faith schaute zum Himmel, als sie auf die Interstate fuhr. Sie war etwa zwanzig Minuten vor Atlanta und sah flaumige, weiße Wolken, die sich wie Schals um die dünnen Hälse der Wolkenkratzer legten. » Ruf mich einfach an«, sagte Faith mit einem unguten Gefühl.
    Lebensmittelladen. Tankstelle. Drogerie. Ihre Mutter hatte den gleichen Kindersitz wie der in Faith’ Mini. Wahrscheinlich war sie
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