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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen
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Stimme. »Glaubst du wirklich, auf dich wäre es irgendwie angekommen?«
    »Ich habe sie zu dem gemacht, was sie heute sind.«
    »Nein. Sie haben dich zu dem gemacht, was du heute bist.«
    Ohne etwas zu erwidern griff Pete in seine Tasche. »Wie dem auch sei, der heutige Abend wird das Bild der Legende noch verstärken. Brian und Johnno sind die Favoriten für den Song des Jahres, und mit etwas Glück sahnt die Band auch noch weitere Preise ab. Ich hielt es für eine werbewirksame Geste, dich den Preis überreichen zu lassen. Brians Tochter, die tragische Witwe Drew Latimers. Tragödien verkaufen sich gut«, fügte er achselzuckend hinzu. »Nun, heute abend wird es eine weitere geben.« Er hielt ihr zwei kleine weiße Tabletten hin. »Nimm die. Sie sind sehr stark. Es wird dir die Sache erleichtern.«
    Emma blickte auf die Tabletten, dann wieder in sein Gesicht. »Ich habe nicht die Absicht, mir irgend etwas leichter zu machen.«
    »Auch gut.« Er steckte die Tabletten wieder in die Tasche. »Es ist ein langer, langer Sturz, Emma.« Er packte sie mit festem Griff am Oberarm und schob sie auf den Abgrund zu. »Bis du unten aufschlägst, bin ich schon wieder auf dem Weg nach unten.« Sein Plan stand jetzt fest. »Ich wollte nach dir sehen, als das Licht ausging, aber du hast durchgedreht. Ich war so besorgt, dass ich dir bis hierher gefolgt bin, aber du warst vollkommen hysterisch, und ich kam zu spät; ich konnte dich nicht retten. Das werde ich mir nie verzeihen. Ich wusste ja, dass du dich all die Jahre für den Tod deines Bruders verantwortlich gefühlt hast, und schließlich konntest du mit dieser Schuld nicht länger leben. Furchtbar!« Er drehte sie herum, so dass sie in die gähnende Tiefe schauen musste. Einer der Kämme, die ihr Haar hielten, löste sich und trudelte ins Leere. »Niemand außer dir weiß etwas, und niemand sonst wird es je erfahren.«
    Emma krallte sich an ihm fest und schob sich Stück für Stück von der Mauer fort. Einen Moment verlor er das Gleichgewicht, und er ließ sie kurz los. Dann legte sich sein Arm wie eine Eisenklammer um ihre Taille, und er versuchte, sie hochzuheben.
    Der Boden rutschte unter ihr weg, sie wankte und warf sich dann mit ihrem ganzen Gewicht gegen ihn. Himmel und Erde drehten sich vor ihren Augen. Sie stieß einen angsterfüllten Schrei aus, während sie darum kämpfte, die Balance wiederzuerlangen.
    In diesem Augenblick brach Michael die Tür auf und rief etwas, doch keine der zwei in einen tödlichen Kampf verstrickten Gestalten achtete auf ihn. Michael sah, dass Pete seine Waffe hob, und feuerte, ohne zu zögern.
    Eine Hand zerrte an Emma, zog sie vorwärts, bis ihr Körper halb über die Kante hing. Petes Gesicht erschien vor ihr, die Augen riesengroß und dunkel vor Angst. Seine Finger glitten von ihrem Handgelenk ab und lösten sich. Dann fiel er, fiel in die endlose Tiefe, und sein Schwung riss sie mit.
    Hände packten sie, zogen sie vom Abgrund fort. Wieder verlor sie den Boden unter den Füßen, doch diesmal hielt sie jemand sicher in den Armen. Durch das Brausen in ihren Ohren hindurch hörte sie ihren Namen, wieder und wieder.
    »Michael.« Ohne ihn anzusehen, ließ sie den Kopf auf seine Schulter sinken. »Michael, laß mich nicht los.«
    »Nie.«
    »Ich habe mich erinnert.« Jetzt endlich begann sie zu schluchzen, und durch den Tränenschleier hindurch konnte sie ihren Vater erkennen, der neben ihr stand. »Papa, ich habe mich erinnert.« Tränenblind streckte sie die Hand nach ihm aus.
    Emma schaute in das Feuer, das Stevie im Kamin entfacht hatte. Er stand wortlos neben ihr, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Alle waren sie mitgekommen; ihr Vater, P. M. und seine Familie, Johnno. Bev bereitete unzählige Kannen Tee zu.
    Obgleich niemand das Wort ergriff, spürte Emma, dass sich der Schock langsam in Bestürzung verwandelte. Auf so viele Fragen würde niemals eine Antwort gefunden werden, so viele Fehler konnten nie wieder berichtigt werden, und jeder von ihnen empfand eine Art Reue, die niemals ganz vergehen würde.
    Doch sie hatten überlebt, dachte Emma. Trotz allem, was ihnen widerfahren war, dem einzelnen und der Gruppe, hatten sie überlebt. Und in dieser Tatsache lag ein gewisser Triumph.
    Langsam erhob sie sich und ging auf die Terrasse hinaus, wo Brian saß und auf das Meer schaute. Er litt still vor sich hin, stellte Emma fest, da es in seiner Natur lag, Probleme in sich hineinzufressen und in seinem Inneren zu verarbeiten, bis er
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