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Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis

Titel: Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
Autoren: Anne Bishop
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Prolog

    Lord Krelis, der neue Hauptmann der Wache, versuchte völlig regungslos dazustehen, während er beobachtete, wie Dorothea SaDiablo langsam in ihrem privaten Audienzzimmer auf- und abging. Bei einer anderen Frau hätte er vielleicht unverhohlen die schlanke Figur bewundert und sich gefragt, ob sich das schwarze, elegant hochgesteckte Haar so seidenweich anfühlte, wie es aussah. Vielleicht hätte er es sogar gewagt, eine Hand über die gebräunte Haut gleiten zu lassen, die nicht von ihrem langen roten Kleid verhüllt wurde. Eventuell hätte er es genossen, wie das Kleid im Rhythmus ihrer wiegenden Hüften raschelte, und sich vielleicht gefragt, ob die Art, wie sie sich mit einer großen wei ßen Feder über das Kinn strich, einem zarten Wink gleichkam, dass sie nichts dagegen hätte, auch auf andere Weise gestreichelt zu werden.
    Doch Dorothea SaDiablo war eine Schwarze Witwe, ein Mitglied des Stundenglases, des gefährlichsten und am meisten gefürchteten Hexensabbats im ganzen Reich Terreille. Schwarze Witwen kannten sich mit Giften ebenso aus wie mit den verschlungenen Pfaden des Geistes, mit Schatten und Illusionen, mit Traumlandschaften, in denen sich ein Mann verlieren konnte, bis er in einem endlosen Albtraum gefangen war.
    Noch dazu war sie die Hohepriesterin von Hayll und trug ein rotes Juwel. Da es im Territorium von Hayll keine Königinnen gab, deren Macht an die mentalen Kräfte heranreichte, für die dieses Juwel stand, und da sämtliche schwächere Königinnen weder ihr Leben noch ihre Gesundheit aufs Spiel setzen wollten, indem sie die Hohepriesterin
herausforderten, herrschte Dorothea, wie es ihr gefiel – ein Umstand, den kein Mann in Hayll zu vergessen wagte.
    »Bist du in letzter Zeit deinem Vorgänger über den Weg gelaufen?«, fragte Dorothea mit schmeichelnder Stimme, als sie an ihm vorbeiraschelte. Ihr kokettes Lächeln bildete einen eigenartigen Kontrast zu dem grausamen Funkeln in ihren goldenen Augen.
    »Ja, Priesterin«, erwiderte Krelis, der sich Mühe gab, unbeteiligt zu klingen. Als er und eine Truppe Männer im Armenviertel von Haylls Hauptstadt Draega auf der Suche nach entbehrlichen Arbeitskräften den dortigen Abschaum ausgehoben hatten, war ihm sein ehemaliger Befehlshaber aus einer schmutzigen Gasse entgegengetorkelt.
    Der frühere Hauptmann der Wache war nur noch ein verstümmeltes, gefoltertes Zerrbild des Mannes, der er einst gewesen war. Schlimmer noch: Sein inneres Netz, jener intime Kern des Selbst, der die Angehörigen des Blutes ausmachte, war zerstört worden, sodass er seine Juwelen nicht länger tragen konnte. Wenn überhaupt, konnte er sich höchstens der einfachsten Kunst bedienen. Der flinke, taktisch klug denkende Geist, der Dorothea so viele Jahrzehnte lang beschützt hatte, war wie eine Wassermelone aufgeschlitzt und ausgehöhlt worden. Doch nicht ganz. Den gehetzten Augen in dem narbigen Gesicht nach zu schlie ßen, verfügte er immer noch über genug geistiges Potenzial, um sich erinnern zu können, was er einst gewesen war. Und wer ihm dies angetan hatte.
    Erneut raschelte Dorothea an Krelis vorbei. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, während er versuchte, an nichts zu denken, und zur Dunkelheit betete, dass Dorothea nichts spüren würde, das sie dazu veranlassen könnte, seine inneren Barrieren zu öffnen und sich eine Kostprobe seiner Gedanken zu Gemüte zu führen.
    »Ich hatte deinen Vorgänger mit einer wichtigen Aufgabe betraut, und er hat mich enttäuscht.« Dorothea blieb vor ihm stehen und strich ihm lächelnd mit der Feder über die Wange. »Jetzt gehört er der gefiederten Bruderschaft an.«

    Krelis erschauderte. Mutter der Nacht! Wenn man abrasiert bekam, was einen Mann zu einem Mann machte, und man fortan einen dieser gewaltigen Federkiele brauchte, um …
    »Wirst du mich enttäuschen?«, säuselte Dorothea, die sich nun nahe zu ihm beugte.
    »Nein, Priesterin«, stammelte Krelis. »Sag mir, was du von mir erwartest, und ich werde es tun.«
    »Ein kluger Mann.« Sie fuhr ihm mit der Feder über die Lippen, bevor sie sich wieder abwandte. »Du hast von der Grauen Lady gehört?«
    War er bereits dabei, sie zu enttäuschen? Zwar hatte er vor ein paar Monaten unbestimmtes Geflüster vernommen, doch damals war er noch Wächter im Dritten Kreis gewesen – und die Befehlshaber pflegten ihren Männern nur das absolut Notwendige zu sagen. Ein Gefühl der Übelkeit stieg in ihm auf. Er musste hart schlucken, bevor er flüsternd
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