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Lucy im Himmel (German Edition)

Lucy im Himmel (German Edition)

Titel: Lucy im Himmel (German Edition)
Autoren: Stefanie Mohr
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nicht gesehen. Entschuldigen Sie bitte«, murmelte sie verlegen.
         Ich war so schockiert, dass ich kein Wort herausbrachte. Stattdessen starrte ich sie ein paar Sekunden lang entsetzt an. Sie trug einen kleinen funkelnden Stein im linken Nasenflügel – mehr nahm ich nicht wahr. Abrupt wandte ich mich ab und ergriff die Flucht: Ich lief um mehrere Grabsteine und zwei hohe Statuen herum, bevor ich mich hinter vier ausladenden Lebensbäumen ins Gebüsch schlug. Dort lehnte ich mich schwer atmend gegen die alte Sandsteinmauer, die den Friedhof umgab. Mein Herz klopfte bis zum Hals.
         Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, zückte ich wutentbrannt mein Handy und wählte die 999.
         »Himmlische Notrufzentrale, ich bin Engel Isolde. Schönen guten Tag, was kann ich für dich tun?«
         »Ich will auf der Stelle Erzengel Gabriel sprechen.«
         »Wer ist denn da bitte?«
         »Lucy. Lucy Theiss.«
         »Und worum geht es?«
         »Das sage ich Gabriel schon selbst!« Ich hasste dieses typische Vorzimmerdamengeplänkel.
         »Erzengel Gabriel ist gerade in einer Konferenz. Kann ich ihm etwas ausrichten oder möchtest du es später noch einmal probieren?«
         »Ich muss ihn aber jetzt sofort sprechen!«
         »Wie gesagt, Gabri–«
         »Es ist absolut dringend«, unterbrach ich sie. »Er hat gesagt, dass ich ihn jederzeit erreiche. Es geht quasi um Leben und Tod.«
         Am anderen Ende der Leitung ertönte ein theatralisches Stöhnen. »Einen Moment bitte.«
         Dann hörte ich ein Knacken in der Leitung. Ich wollte schon empört auflegen, weil ich glaubte, dass mich dieser blöde Engel aus der Leitung geschmissen hatte, als sich Gabriels ruhige Stimme meldete.
         »Wer stirbt denn gerade, Lucy?«
         So wie er die Frage stellte, konnte ich gleichsam durch die Leitung sehen, wie ein Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Offenbar hatte er nicht erwartet, dass ich länger als fünf Minuten auf Erden weilen würde, ohne ein Problem zu haben. Na, dem würde ich es zeigen!
         »Ich! Und zwar tausend Tode! Ich bin nämlich nicht unsichtbar!« Empört berichtete ich ihm von meinem Zusammenstoß mit der Frau, und wie sie sich dann auch noch bei mir entschuldigt hatte.
         Am anderen Ende blieb es einen Augenblick still, dann hörte ich ein leises Seufzen. »Die Frau war also der allererste Mensch auf der Erde, dem du begegnet bist?«, fragte der Erzengel in äußerst verständnisvollem Tonfall.
         »Ja«, antwortete ich zögerlich.
         »Okay, Lucy, pass auf. Es ist, wie ich es dir gesagt habe, du bist unsichtbar.«
         »Aber sie hat doch mit mir geredet!«
         »Wenn man zum ersten Mal nach dem eigenen Tod wieder unter Menschen kommt, kann es passieren, dass man am Anfang das Gefühl hat, alle würden einen anschauen und mit einem reden. Aber das ist bloß Einbildung. Glaube mir, das passiert nur in deinem Kopf.« Nach einem Augenblick fuhr er noch sanfter fort: »Geh in die Gruft zurück, wenn du Angst hast. Ich schicke Engel Manuel runter, um dich abzuholen. Dann müssen wir uns eben etwas anderes für deinen Mann überlegen.«
         »Ist es wirklich nur Einbildung?«, fragte ich kleinlaut. Keinesfalls wollte ich mich nach fünf Minuten schon wieder einsammeln lassen. Das wäre sicher das absolute Aus für meine mögliche Engel-Karriere gewesen.
         »Ja, definitiv.« Gabriel hielt einen Moment inne, dann fragte er: »Kannst du auf dem Friedhof irgendjemanden sehen?«
         Ich steckte den Kopf hinter meinem Sichtschutz hervor und schaute mich um. »Schräg gegenüber ist eine alte Frau, die Blumen gießt.«
         »Okay, Lucy. Geh zu der Dame, und frag sie nach der Uhrzeit. Ich bleibe so lange am Telefon.«
         Schweren Herzens schlüpfte ich aus meinem Versteck und lief zögerlich zu der Rentnerin hinüber. Zwar hatte ich Bedenken, dass sie vielleicht einen Herzinfarkt bekommen könnte, wenn plötzlich eine ganz in weiß gekleidete Frau mit ebensolchen Badelatschen neben einem Grab auftauchte und sie ansprach, aber ich verließ mich darauf, dass in ihrem »Buch des Lebens« nicht gerade dieser Augenblick zum Sterben vermerkt war.
         »Entschuldigung. Könnten Sie mir bitte sagen, wie spät es ist? Ich habe dummerweise meine Uhr zu Hause liegengelassen.«
         Das Mütterchen reagierte nicht. Ich wurde mutiger und fragte noch einmal – diesmal mit
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