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Lucy im Himmel (German Edition)

Lucy im Himmel (German Edition)

Titel: Lucy im Himmel (German Edition)
Autoren: Stefanie Mohr
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gewesen?
         »Nein, Lucy«, beruhigte mich Gabriel, obwohl ich die Frage nicht laut ausgesprochen hatte. »Ihr hattet keine Kinder. Und es gibt auch nicht den geringsten Grund, sich für das Vergessen zu schämen. Dafür kannst du nichts, das gehört quasi zu unserer Politik im Himmel.«
         Ich ließ die Worte in mir nachhallen und entspannte mich allmählich wieder. Gleichzeitig wurde ich jedoch immer neugieriger: Wobei sollte ich ihm denn nun helfen?
         »Genau deswegen tut es mir unendlich leid, dass ich dich nun in die Welt des Schmerzes und der Realität zurückschicken muss«, fuhr Gabriel mit einem Seufzen fort. »Aber ich hoffe, dass es nur für eine ganz kurze Zeit sein wird.«
         Mir stockte der Atem. Offensichtlich war sein Problem größer als ein Berg überfälliger Bügelwäsche.
         »Glaube mir, wenn es einen anderen Weg gäbe, dann würde ich es nicht machen, aber wir haben alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft.« Er erhob sich aus seinem ergonomisch geformten Chefsessel und bedeutete mir, ihm zu folgen.
         Mit zitternden Knien rappelte ich mich auf.
     
    Wie aus dem Nichts erschien plötzlich eine Tür vor Gabriel, die sich nur mit einem Iris-Scan von seinem rechten Auge öffnen ließ.
         Der Raum, in den wir traten, war groß. Im Gegensatz zum Büro hatte er Wände. Es waren jedoch keine gemauerten wie in einem Haus; vielmehr bestanden sie aus unendlich vielen kleinen neben- und übereinander liegenden Fenstern. Hinausschauen konnte man trotzdem nicht: Der Ausblick eines jeden Gucklochs war von einem winzigen Vorhang oder einer Jalousie verdeckt.
         »Was verbirgt sich dahinter?«, fragte ich neugierig.
         »Das werde ich dir gleich zeigen.« Gabriel blieb vor einer Wand stehen und räusperte sich. »Lucy, du hast mir vorhin gar nicht gesagt, wo du früher gearbeitet hast.«
         »Beim Zoll. Kontrolleinheit Verkehrswege«, antwortete ich ohne nachzudenken.
         Gabriel lächelte und nickte. »Und dein Mann?«
         »Gregor ist ebenfalls Zollfahnder, leitet aber eine ganz andere Abteilung als die, in der ich tätig war. Wir haben uns bei einer Tagung kennengel–«, ich hielt abrupt inne. »Warum kann ich mich auf einmal wieder erinnern?«
         »Das ist das Geheimnis dieses Raums. Ich nenne ihn immer ›Zimmer mit Aussicht ‹ . Das klingt nicht ganz so abschreckend wie ›Zimmer mit Blick auf die Realität ‹ «, antwortete Gabriel in seiner ruhigen Art.
         »Wie geht es meinem Mann?«, fragte ich ein klein wenig atemlos. Gregor: Zwei Jahre älter als ich, groß, hager, sportlich, geradlinig, ehrlich – der liebenswerteste Mensch auf der ganzen Welt. Ich merkte, wie mein Herz beim Gedanken an ihn schneller zu schlagen begann.
         »Nicht gut«, sagte der Erzengel mit leiser Stimme. »Um die Wahrheit zu sagen: Es geht ihm sogar sehr schlecht. Wir machen uns große Sorgen, deswegen brauchen wir deine Hilfe, Lucy. Wir sind mit unserem Latein nämlich am Ende.« Gabriel sah mich ernst an.
         Ich spürte sofort einen Kloß im Hals. »Warum? Was ist mit ihm?«

Zweites Kapitel
    In dem Lucy einen Entschluss fasst
     
    Statt einer Antwort drehte sich Gabriel um, zog die Jalousie hoch, die bisher den Ausblick durch eines der kleinen Fenster verdeckt hatte, und öffnete es. Dann trat er einen Schritt zur Seite, damit ich hinaussehen konnte.
         Vor mir erstreckte sich der Nürnberger Johannisfriedhof. Mein Blick glitt über die akkurat ausgerichteten sandsteinernen Gräberreihen und blieb schließlich an einem großen, schlanken Mann in schwarzen Jeans und ebensolchem Hemd hängen. Gregor. Mein Herz krampfte sich zusammen.
         Seine Haare waren grau geworden, seine Statur noch schmaler, als sie sowieso schon immer gewesen war. In der Hand hielt er einen Strauß roter Rosen. Seine Schultern zitterten sichtbar. Ich sah seine geröteten Augen, in denen Tränen schimmerten, seine schmalen, aufeinander gepressten Lippen.
         »Nein! Nicht!« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Nicht weinen! Mir geht es doch gut.« Mit einem Mal beugte ich mich so weit es ging aus dem Fenster, schrie Gregors Namen und winkte ihm zu, aber er bemerkte mich nicht. Verzweiflung stieg in mir hoch. Dann spürte ich eine Hand, die meinen Ellbogen umfasste und mich vom Fenster zurückzog.
         »Er kann dich nicht hören.« Gabriel holte ein blütenweißes Baumwolltaschentuch
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