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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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dem Institut für Geschichtswissenschaften verbinden. Dort sagte man mir, wo Frau Professor Doktor Appleman ihr Büro habe.
    Als ich dort ankam, war ich so verdammt müde, daß ich kaum noch etwas wahrnahm. Ich hatte dröhnende Kopfschmerzen. Die Sekretärin hielt mich für einen Studenten und erlaubte mir, in Robertas Büro zu warten.
    Das Büro war mit feinster Auslegeware ausgelegt, auf dem Schreibtisch stand ein Laptop, der zwischen den Papier- und Bücherbergen kaum zu sehen war. Vor dem Schreibtisch stand ein Stuhl, dahinter ein einladender Ledersessel. In den setzte ich mich.
    Nie wieder eine andere Frau. Roberta hatte das Beste von Gisela und Gloria in sich vereint. Und sie war älter. Und sie war Amerikanerin. Ich hätte noch so viel von ihr lernen können. Aber sie war älter. Aber sie war Amerikanerin. Und sie war so begehrenswert. Und sie hatte so wundervolle… Vor ihr hatte ich keine Angst gehabt. Jetzt hatte ich Angst, daß ich mir fast in die Hosen machte. Jawohl, ich hatte Angst, als ich da saß. Scheiß auf Überhöhung in der Beschreibung, scheiß auf die Reduzierung auf das Wesentliche, scheiß auf die Kunst des Weglassens: Ich hatte Angst. Davor, mich zu binden, davor, Verantwortung zu übernehmen oder was einem sonst noch an Sozialarbeitergelaber einfallen mag, ich hatte Angst vor Tinas Bauch, ich hatte Angst, daß mein Papa und meine Mama mich im Stich ließen, ich hatte Angst vor dem Älterwerden, und – damit es auch wirklich jeder begreift: Ich hatte Angst vor dem Tod.
    Nach fünf Sekunden war ich eingeschlafen.
    Ich wachte auf wie in einem Film: Jemand stand über mich gebeugt und schlug mir mit den Händen ins Gesicht. Es war Roberta. Meine Augen waren noch ganz verklebt.
    »Was zum Teufel machst du hier?« Sie sah ärgerlich aus.
    »Ich muß eingeschlafen sein«, sagte ich.
    »Das war nicht zu übersehen.«
    »Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«
    »Und das mußtest du in meinem Büro nachholen?«
    »Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Ich stand auf und wollte sie umarmen, aber sie ging einmal um den Schreibtisch herum und ließ sich in den Sessel fallen.
    »Was willst du? Wie bist du hierhergekommen?«
    »Ich bin geflogen.«
    »Verleiht Alkohol jetzt Flügel?«
    »Nein, im Ernst, ich bin heute morgen von Düsseldorf aus hergeflogen.«
    »Du siehst ziemlich schlecht aus.«
    »Es geht mir auch nicht gut.«
    Sie wartete, daß ich erklärte, warum ich hier war. Ich nahm mir ein paar Sekunden, sie zu betrachten. Sie war alt geworden. Sie war jetzt fünfzig. Ihr Haar war grau. Ihre Figur war noch in Ordnung, unter dem dunkelgrauen Kostüm konnte ich ihre schönen, schweren Brüste sehen.
    »Starr mir nicht auf die Titten«, sagte sie. »Sag mir, weswegen du hier bist!«
    »Warum bist du so abweisend?«
    »Ich mag solche Überraschungen nicht.«
    »Was für Überraschungen?«
    »Aus einem früheren Leben überfallen zu werden.«
    »Ich will dich nicht überfallen.«
    »Was willst du dann?«
    »Mit dir reden.«
    »Worüber?«
    »Über mich. Über uns.«
    »Schöne Reihenfolge.«
    »Können wir nicht irgendwohin gehen?«
    Sie sackte plötzlich in sich zusammen, schlug erst die Hände vors Gesicht und rieb sich dann die Augen. »Ich habe in einer Stunde ein Hauptseminar«, sagte sie, »und ich muß mich noch ein wenig vorbereiten.«
    »Der alten Zeiten wegen.«
    »O Scheiße, komm mir nicht mit alten Zeiten. Du sagst mir hier, was du von mir willst, und dann verschwindest du und läßt mich in Ruhe.«
    Unter ihren Augen waren dunkle Ränder. Auf ihren Händen waren erste Altersflecken zu sehen. Auf ihren Handrücken hatten sich Adern nach oben gearbeitet. Sie war nur zehn Jahre jünger als meine Mutter. Und ich war mit ihr im Bett gewesen.
    »Ich wollte dich etwas fragen«, sagte ich.
    »Schieß los!«
    »Warum warst du damals mit mir zusammen?«
    »Was soll die Frage?«
    »Was soll die Frage sollen?«
    »Bist du quer durchs ganze Land geflogen, um Wortspiele zu machen?« Ihre Augen waren jetzt ganz rot. Ich konnte nicht sagen, ob sie weinte oder ob das vom Reiben kam.
    »Warst du in mich verliebt?« fragte ich.
    »Warst du etwa nicht in mich verliebt?« fragte sie zurück.
    »Ich habe zuerst gefragt!«
    Sie seufzte und machte eine lange Pause. Dann sagte sie: »Du warst immer so desinteressiert.«
    »So desinteressiert?«
    »Du warst begeistert von meinen Titten. Und davon, daß ich älter war. Heute würdest du mich wahrscheinlich nicht mal mehr mit der Kneifzange anfassen. Und du
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