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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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ihn in zwei Tassen und stellte eine vor mich hin.
    »Wir trinken beide schwarz, deshalb habe ich keine Milch, aber du kannst Zucker haben.«
    »Schwarz ist okay.«
    Sie wartete darauf, daß ich sagte, warum ich hier war. Ich hätte sie gerne betrachtet, ohne daß sie es merkte. Aber das ging nicht. Also sah ich sie einfach so an. Nie wieder eine andere Frau. Was war so schlimm an Friedhöfen und Kirchen? Warum hatte ich dafür kein Verständnis gehabt? Wieso war ich so ein elender Spießer? Wieso ging ich nicht auf die Knie und dankte meinem Schöpfer, daß es mir vergönnt gewesen war, mit dieser Frau zusammenzusein? Am liebsten hätte ich ihr gezeigt, daß ich jetzt anders war, wenn auch erst seit dreißig Sekunden, daß ich eine starke, herausfordernde, sexuell experimentierfreudige Frau… ja… was? Mir fiel kein Verb ein. Am liebsten hätte ich sie ausgezogen und sie angesehen. Noch lieber hätte ich mich einfach nackt an sie geschmiegt, ganz unschuldig. Noch lieber hätte ich sie gesehen, wie sie… Und ihre roten Haare…
    »Also, warum bist du hier?«
    »Warum warst du damals mit mir zusammen?«
    »Du tauchst morgens um fünf nach fast zehn Jahren bei mir auf, um mich das zu fragen?«
    »Genau.«
    »Die Frage ist, warum warst du mit mir zusammen?«
    »Wie meinst du das?«
    »So wie ich es gesagt habe.«
    »Ich habe zuerst gefragt.«
    Gloria seufzte und trank von ihrem Kaffee. Sie verbrannte sich die Zunge. »Ich dachte, mit dir könnte ich es aushalten. Außerdem hast du dich so wunderbar dämlich angestellt in deiner Parkhausbude. Das machte dich gleich sympathisch. Außerdem hatte ich keine Angst vor dir.«
    »Dämlich« hatte sie gesagt. Und: »keine Angst«. Weil ich »weich« war?
    »Warum hast du wieder geheiratet?«
    »Weil ich dachte, mit ihm könnte ich es aushalten. Er hat sich auch dämlich angestellt.«
    Ich trank Kaffee. Warum hatte sie mich nicht geheiratet? Sie hatte doch sonst alles geheiratet, was bei drei nicht auf den Bäumen war. Und jetzt war sie lesbisch. Wegen mir? Oder wegen des anderen?
    »Es geht dir nicht gut, was?« sagte sie.
    »Doch, doch. Es hat mich nur interessiert. Du weißt ja, ich war immer ein bißchen impulsiv.«
    »Also wenn du eines ganz bestimmt nie gewesen bist, dann impulsiv. Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Auf mich hast du eher einen lethargischen Eindruck gemacht.«
    »Ach ja?«
    »Nach den ersten drei Monaten oder so schienst du so ein bißchen das Interesse verloren zu haben. Es war schwer, dich zu etwas anderem zu bewegen als fernsehen.«
    Der Kaffee war jetzt so weit abgekühlt, daß man ihn trinken konnte. Ich trank die halbe Tasse, ohne wach zu werden.
    »Und du hast so einen Aufstand gemacht wegen der Sache mit dem Friedhof und in der Kirche. Und ständig hat es dich gestört, was ich gelesen habe. Manchmal habe ich mich wirklich gefragt, was du von mir willst.«
    »Bist du glücklich?« wollte ich wissen.
    »So weit das überhaupt geht, ja.«
    »Glücklicher als mit mir?«
    »Ach Helmut«, seufzte Gloria, »das ist doch eine blöde Frage.«
    »Wahrscheinlich, ja. Könntest du mir ein Taxi rufen?«
    Während wir warteten, sagte sie: »Ich war unglaublich wütend auf dich. Das mit den Büchern wäre nicht nötig gewesen. Das hatte etwas mit Verachtung zu tun. Verachtung für das, was ich bin. Du hast dich vor mir geekelt, wegen der Sache mit dem Friedhof und den Kirchen. Ich war unglaublich wütend auf dich. Aber dann hast du mir leid getan. Und dann habe ich begriffen, daß du wichtig warst. So wie die anderen. Du warst wichtig, damit ich begriff, wie es nicht geht.«
    Zum Abschied küßte sie mich auf die Wange, sagte aber nicht, ich sollte mich mal wieder melden.
    Von dem Taxi ließ ich mich erst mal zu einem Geldautomaten fahren, und dann zum Flughafen. Um sieben ging der erste Flug nach München, und sie hatten noch einen Platz frei. Ich bezahlte mit der Kreditkarte, die von Tinas Konto abbuchte. Schon im Warteraum nickte ich ein. Zwischen all den Geschäftsleuten in ihren sauberen Hemden und Sakkos wirkte ich wie ein Penner. Wie ein guter Freund von Linda.
    Als ich mich auf meinen Platz am Gang setzte, versuchte, der Typ neben mir, sich möglichst dicht an die Fensterverkleidung zu schmiegen. Noch bevor wir starteten, war ich eingeschlafen und wachte erst wieder auf, als wir landeten.
    Mit der S-Bahn fuhr ich zum Hauptbahnhof. Es war jetzt kurz nach neun. Ich sah im Telefonbuch nach der Nummer des Unisekretariats rief dort an und ließ mich mit
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