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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Autoren: Mark Charan Newton
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PR OLOG
    So viel war offensichtlich:
    Er war gesandt, um sie zu töten. Und sie war Wochen entfernt von jeder Sicherheit, seit Wochen unterwegs im Archipel. Und es war tiefe Nacht – immerhin eine gute Zeit, um auf der Flucht zu sein.
    Die Straßen von Ule waren kalt und voller Menschen. Alles war von Flammen erhellt; Feuer aus Becken oder von Fackeln. Im Dunkeln saßen noch immer junge Männer und Frauen zusammen, rauchten und philosophierten mit kultivierten Gesten und lauten Stimmen, in die sich da und dort ein wenig Gelächter mengte. Kinder ruhten dösend oder schlafend an ihren Knien. Ältere Leute schlenderten an den Geschäften dahinter vorbei und studierten verblasste Schilder, und etwas an ihrem Auftreten ließ vermuten, dass sie den Moment zu finden hofften, in dem ihr Leben ihnen entglitten war.
    Die kommen einem einfach immer in die Quere , dachte Papus. So ist es nun mal auf den Inseln des Kaiserreichs. Man kann nicht stillstehen.
    Die Insel Folke:
    Ein Außenposten am Rande des Kaiserreichs, wo Jamur-Soldaten darauf warteten, am Morgen einen Stammesaufruhr niederzuwerfen, wo es zugleich aber jede Menge Einheimische gab, Durchreisende und Touristen mit einem Hang zum Morbiden. Da Papus sich verfolgt fühlte, sah sie oft seltsame Dinge wie eine fahrige Geste zwischen zwei nur in Umrissen erkennbaren Gestalten. Mitunter traf ihr Blick den Blick anderer, und dann fragte sie sich, was dahintersteckte. In Nächten wie dieser schien alles bar jeden Zusammenhangs zu geschehen.
    Sie musste nach Villjamur zurückkehren.
    Es hieß, so weit im Osten ziehe Krieg unweigerlich die Neugierigen an. Sie waren in Scharen gekommen, als hätten sie vergessen, auf wie viele verschiedene Weisen man zu Tode kommen konnte. Trotz der Deckung, die diese Leute ihr boten, und trotz aller Verstecke: Er würde auf sie warten, vielleicht auf dem gutbesuchten Basar, vielleicht zwischen den umlagerten Fischständen, an denen alte Männer ihre Waren in den verschiedensten Dialekten anpriesen.
    »Ein Amulett, Herr … «, rief eine schmuddlige Frau in gebrochenem Jamur. Sie war zerlumpt und stank nach Dung. Mit dreckigen Händen hielt sie den Passanten geschwärzte Knochen entgegen. Ihr verschwitztes Gesicht war runzlig und von Ruß verschmiert, und in ihrem Blick lag eine beunruhigende Abwesenheit, die zeigte, dass sie aus einem sehr einfachen Grund fern der Wirklichkeit war. »Knochenamulette von Sklaven – heilige Gegenstände, von einem Jorsalir-Priester gesegnet. Bitte! Ich brauche Geld – «
    »Ich habe nichts«, sagte Papus.
    Die Frau beugte sich so weit vor, dass der Tod zu riechen war.
    »Geht mir aus dem Weg!«
    Die Alte brummte, und Speichel tropfte aus ihrem Mund. »Wendet Euren Geist etwas Gutem zu! Wir sündigen zu viel … «
    Papus zog ein Sterkr aus dem Umhang und bewegte es vor den Augen der Frau hin und her.
    Ein unauffälliger purpurner Blitz ließ die Alte erstarren.
    Verflucht, das hat ihn auf mich aufmerksam gemacht , dachte Papus, ließ die stocksteif gewordene Frau stehen, schob das Relikt wieder in die Tasche und setzte ihren zielstrebigen Marsch durch die Stadt fort. Die ganze Zeit tat sie, als wäre alles in bester Ordnung und als gäbe es nichts, worüber sie sich hier Sorgen machen müsste, während sie sich doch sehnlichst wünschte, in der Menge zu verschwinden.
    Kreuzungen waren Zentren des Getümmels. Besonders junge Männer sammelten sich dort, voller Träume vom Ruhm auf dem Schlachtfeld. Frauen boten den Soldaten und den wenigen vermögenden Reisenden ihren Körper an. Sie waren hübsch genug, um vorläufig über die Runden zu kommen, aber nicht schön genug für eine gute Partie – so war ihre wirtschaftliche Zukunft ungewiss, und eine jede stand mit ausdrucksloser Miene da, die allzu viel verriet. In der Nähe wechselten Weinschläuche für wenig Geld den Besitzer. Selbst die Kinder tranken, um nicht zu frieren, doch dies war ein Festabend, und darum hatten die Einwohner von Folke daran nichts auszusetzen.
    Papus musterte vorsichtig alles, was ihr in der Stadt begegnete. Jede Einzelheit konnte darüber entscheiden, ob sie sterben oder Villjamur erreichen würde.
    Trotz all der Einheimischen, deren schmutzige Nähe sie bedrängte, fühlte sie sich zutiefst einsam, was ihre Angst, ermordet zu werden, nur steigerte. Solche Nächte ließen sie mit ihrem Lebensweg hadern, damit, wer sie war und woher sie kam, und sie fragte sich dann, ob sie es je zu mehr brächte als zu Macht und Verschwiegenheit,
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