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Gregor und der Schlüssel zur Macht

Gregor und der Schlüssel zur Macht

Titel: Gregor und der Schlüssel zur Macht
Autoren: S Collins
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1. Kapitel
    A ls Gregor die Augen aufschlug, hatte er das deutliche Gefühl, dass ihn jemand beobachtete. Er schaute sich in seinem winzigen Zimmer um und versuchte sich dabei möglichst still zu verhalten. An der Decke war nichts. Auf der Kommode auch nicht. Dann sah er ihn auf der Fensterbank sitzen, reglos bis auf das leichte Zucken der Fühler. Ein Kakerlak.
    »Du kriegst hier nur Ärger«, sagte Gregor leise zu dem Kakerlak. »Willst du etwa, dass meine Mutter dich erwischt?«
    Der Kakerlak rieb die Fühler aneinander, machte jedoch keine Anstalten wegzukrabbeln. Gregor seufzte. Er nahm ein altes Mayonnaiseglas mit Stiften, kippte den Inhalt aufs Bett und fing den Kakerlak mit einer schnellen Bewegung unter dem Glas ein.
    Für diese Aktion musste er noch nicht mal aufstehen.Sein Zimmer war gar kein richtiges Zimmer. Wahrscheinlich war es ursprünglich als Abstellkammer gedacht gewesen. Gregors Bett war so hineingequetscht worden, dass er, wenn er abends in sein Zimmer kam, direkt übers Kopfende reinsteigen musste. Am Fußende war eine kleine Nische in der Wand, in die so gerade eine schmale Kommode passte, auch wenn sich die Schubladen nur knapp zwanzig Zentimeter öffnen ließen. Seine Hausaufgaben machte er im Schneidersitz auf dem Bett mit einem Brett auf den Knien. Und das Zimmer hatte keine Tür. Aber Gregor beklagte sich nicht. Er hatte ein Fenster, das zur Straße hinausging, die Zimmerdecke war schön hoch, und er hatte mehr Privatsphäre als alle anderen in der Wohnung. In sein Zimmer kam kaum jemand rein … die Kakerlaken nicht mitgerechnet.
    Was war in letzter Zeit überhaupt mit den Kakerlaken los? Ein paar hatten sie immer in der Wohnung gehabt, aber jetzt kam es ihm so vor, als würde er jedes Mal einen sehen, wenn er sich umdrehte. Sie liefen nicht weg und sie versuchten sich nicht zu verstecken. Sie saßen einfach da und beobachteten ihn. Es war verrückt. Und es machte ganz schön viel Arbeit, ihnen allen das Leben zu retten.
    Im letzten Sommer, als viele Meilen unter der Stadt New York ein Riesenkakerlak sein Leben für Gregors zweijährige Schwester Boots gegeben hatte, hatte Gregor geschworen, nie mehr einen Kakerlak zu töten. Aber wenn seine Mutter sie entdeckte, war es um sie geschehen. Gregor musste sie aus der Wohnung schaffen, ehe ihr Kakerlakenradar zuschlug. Als es draußen noch warm war, hatte er sie einfach eingefangen und auf die Feuerleiter gesetzt. Aber jetzt im Dezember befürchtete er, die Kakerlaken könnten erfrieren, deshalb versteckte er sie immer möglichst tief in den Küchenabfällen. Dort fühlten sie sich hoffentlich wohl.
    Gregor schubste den Kakerlak von der Fensterbank ins Mayonnaiseglas. Dann schlich er durch den Flur, vorbei am Badezimmer und an dem Schlafzimmer, das sich Boots, seine siebenjährige Schwester Lizzie und die Großmutter teilten, und ging ins Wohnzimmer. Seine Mutter war schon aus dem Haus. Offenbar hatte sie Frühschicht in dem Café, in dem sie am Wochenende bediente. Sie hatte eine Vollzeitstelle bei einem Zahnarzt an der Anmeldung, aber weil sie in letzter Zeit jeden Cent brauchten, hatte sie einen Nebenjob angenommen.
    Gregors Vater lag auf dem ausgeklappten Sofa. Selbst im Schlaf fand er keine Ruhe. Seine Finger zuckten und zupften unruhig an der Decke, und er murmelte leise vor sich hin. Sein Vater. Sein armer Vater …
    Nachdem er mehr als zweieinhalb Jahre lang tief unter der Stadt in der Gefangenschaft bösartiger Riesenratten zugebracht hatte, war Gregors Vater ein Wrack. Im Unterland, wie die Bewohner es nannten, hatte er ein Dasein ohne Licht und mit unzureichender Nahrung gefristet und war Foltermethoden ausgesetzt gewesen, über die er niemals sprach. Er wurde ständig von Albträumen gequält, und selbst wenn er wach war, fiel es ihm oft schwer, Wirklichkeit und Einbildung auseinander zu halten. Noch schlimmer war es, wenn er Fieber hatte, was häufig vorkam, denn trotz wiederholter ärztlicher Behandlung wurde er die merkwürdige Krankheit nicht los, die er aus dem Unterland mitgebracht hatte.
    Bevor Gregor mit Boots durch ein Gitter im Wäschekeller gefallen war und seinen Vater wiedergefunden hatte, hatte er immer gedacht, wenn seine Familie nur wieder vereint wäre, würde alles ganz einfach sein. Natürlich war es tausendmal besser, den Vater wiederzuhaben. Aber einfach war es nicht.
    Gregor ging leise in die Küche und ließ den Kakerlak in den Mülleimer gleiten. Er stellte das Mayonnaiseglas auf die Anrichte und sah, dass
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