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Eine Sündige Nacht

Titel: Eine Sündige Nacht
Autoren: Sandra Brown
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    S ind Sie sicher?«
    Der Arzt nickte niedergeschlagen. Seine grüne Operationskleidung sah noch immer makellos aus. Er war nicht lang genug im OP gewesen, um ihn durchzuschwitzen. »Es tut mir leid, Mrs. Lancaster. Es hat sich ausgebreitet und wuchert.«
    »Sie können nichts mehr für ihn tun?«
    »Nur, es ihm so angenehm wie möglich zu machen und ihn möglichst schmerzfrei zu halten.« Er berührte sie am Arm und sah den Mann, der neben ihr stand, bedeutungsvoll an. »Er hat nicht mehr lange zu leben. Höchstens noch ein paar Wochen.«
    »Ich verstehe.« Sie drückte ein zerknülltes, feuchtes Taschentuch auf ihre Augen.
    Sie tat dem Arzt entsetzlich leid. Wenn Angehörige auf die schlechte Nachricht hysterisch reagierten, fühlte er sich durchaus in der Lage, mit ihnen umzugehen. Die tapfere Hinnahme aber dieser so überaus femininen und zarten Frau verursachte das Gefühl in ihm, ein blutiger Anfänger und unbeholfen zu sein. »Wenn er nur früher zu einem Gesundheitscheck gekommen wäre, dann hätte man vielleicht …«
    Sie lächelte traurig. »Das wollte er ja nicht. Ich habe ihn so gebeten, Sie aufzusuchen, als sein Magen ihm immer wieder
Probleme bereitete, aber er beharrte darauf, dass es sich dabei nur um Verdauungsbeschwerden handelte.«
    »Wir wissen ja alle, wie dickköpfig Roscoe sein kann«, sagte der Mann, mit dem sie ins Krankenhaus gekommen war. Granger Hopkins nahm Caroline Lancaster sanft in seinen rechten Arm. »Darf sie zu ihm?«
    »Erst in einigen Stunden«, erwiderte der Arzt. »Er wird bis zum Nachmittag unter der Wirkung des Narkosemittels stehen. Warum gehen Sie nicht solange nach Hause und ruhen sich eine Weile aus?«
    Caroline nickte und ließ sich von Granger, ihrem Anwalt und Freund, zum Fahrstuhl führen. Beide schwiegen bedrückt, während sie warteten. Sie war benommen, aber nicht überrascht. Noch nie war ihr Leben in rosigen und reibungslosen Bahnen verlaufen. Warum hatte sie nur in ihrer Naivität an der Hoffnung festgehalten, dass die diagnostische Operation lediglich zu Tage bringen würde, Roscoe würde an nichts Schlimmerem als einem Magengeschwür leiden, das man gut behandeln könnte?
    »Geht’s?«, fragte Granger leise, nachdem sich die Fahrstuhltür hinter ihnen geschlossen hatte und sie damit vor neugierigen Blicken geschützt waren.
    Sie holte tief Luft und erzitterte. »So gut es einer Frau eben gehen kann, wenn sie erfährt, dass ihr Ehemann stirbt. Bald.«
    »Es tut mir leid.«
    Sie sah zu ihm hoch und lächelte. Granger wurde ganz warm ums Herz. Die Art, wie sie lächelte und sich dabei auf eine süße Art für eine nicht erkennbare Unzulänglichkeit zu entschuldigen schien, wirkte auf Frauen und Männer gleichermaßen rührend. »Das weiß ich, Granger. Ich kann dir
gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin, dich zum Freund zu haben.«
    Sie durchquerten das Foyer des kürzlich renovierten Krankenhauses. Sowohl das Personal als auch die Besucher sahen Caroline an und schauten schnell wieder weg. Auf ihren abgewandten Gesichtern zeigte sich Neugier, aber auch Respekt. Jeder wusste bereits Bescheid. Wenn eine einflussreiche Persönlichkeit in einer Stadt von der Größe Winstonvilles im Sterben lag, verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Buschfeuer.
    Granger begleitete Caroline zu ihrem Auto und hielt ihr die Tür auf. Sie stieg ein, startete aber den Motor nicht gleich. Sie saß gedankenverloren da, starrte niedergeschlagen vor sich hin, voller Sorge, voller Trauer. Es gab so viele Dinge, um die sie sich kümmern musste. Wo sollte sie nur beginnen?
    »Wir müssen Rink benachrichtigen.«
    Der Name durchfuhr sie wie ein Eispickel, kalt, messerscharf und durchdringend. Er bohrte sich durch alle lebenswichtigen Organe. Sein Name hallte wie Donner in ihrem Kopf. Der Schmerz, mit dem das geschah, ließ sie erstarren.
    »Caroline, hast du mich gehört? Ich habe gesagt, dass -«
    »Ja, ich habe dich verstanden.«
    »Bevor er in den Operationsraum gebracht wurde, nahm Roscoe mir das Versprechen ab, mit Rink Kontakt aufzunehmen, sollte es zu einer schlechten Prognose kommen.«
    Caroline sah Granger fragend an. »Er hat dich gebeten, Rink zu benachrichtigen?«
    »Ja, und zwar sehr nachdrücklich.«
    »Das überrascht mich. Ich hatte gedacht, der Streit zwischen ihnen ließe sich nicht mehr beilegen.«

    »Roscoe stirbt, Caroline. Ich denke, er wusste, dass er das Krankenhaus nicht mehr verlassen würde, wenn er erstmal drin wäre. Er möchte seinen Sohn sehen, bevor er
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