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 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani
Autoren: Rubem Fonseca
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Teil I
    Treibe es mit deinem Tintenfaß
     
    1
     
    »Du hast aus mir einen Lüstling (und einen Schlemmer) gemacht, deshalb würde ich dich am liebsten weiter so von hinten umklammert halten, genau wie Bufo, und wie ihm könnte man mir ein Bein abbrennen, ohne daß meine Begierde nachließe. Aber du möchtest jetzt, wo du befriedigt bist, daß ich wieder von Madame X rede. Na schön, ich tu’s gleich. Doch vorher möchte ich dir einen Traum erzählen, den ich in letzter Zeit häufiger gehabt habe.
    In diesem Traum erscheint Tolstoi vor mir, ganz in Schwarz gekleidet, mit langem zerzaustem, weißem Bart, und sagt auf russisch: ›Um Krieg und Frieden zu schreiben, habe ich zweihunderttausendmal diese Bewegung gemacht‹; er streckt seine fleischlose, wachsbleiche Hand vor, doch kommt sie nicht ganz aus dem langen Rockärmel heraus, und bewegt sie so, wie man eine Feder in ein Tintenfaß taucht. Vor mir auf einem Tisch steht ein glänzendes Metalltintenfaß, daneben liegt eine lange Feder, vermutlich ein Gänsekiel, und ein Stapel Papier. ›So‹, sagt Tolstoi, ›jetzt bist du dran.‹ Ein entsetzliches Gefühl durchzuckt mich, die Gewißheit, daß ich es nicht fertigbringen werde, mehrere hunderttausend Male die Hand auszustrecken, die Feder in das Tintenfaß zu tauchen und die leeren Blätter mit Buchstaben und Wörtern und Sätzen und Absätzen vollzuschreiben. Dann überkommt mich die feste Überzeugung, daß ich sterben werde, ehe ich diese übermenschliche Kraftanstrengung vollbracht habe. Verzweifelt und unglücklich wache ich auf und kann die ganze Nacht nicht mehr schlafen. Wie du weißt, kann ich nicht mit der Hand schreiben, wie es nach Ansicht dieses blöden Nabokov alle Schriftsteller tun sollten.
    Du hast mich gefragt, wie ich so produktiv sein kann, wo ich doch so viel Zeit auf Frauen verschwende. Weißt du, ich habe nie begriffen, was Flaubert gemeint hat, als er sagte: ›Bewahre dir deinen Priapismus für den Stil auf, treibe es mit deinem Tintenfaß, kühle dein Fleisch … eine Unze Sperma zu verlieren ermattet mehr als der Verlust von drei Liter Blut.‹ Ich bumse nicht mit meinem Tintenfaß, dafür pflege ich allerdings auch keinen gesellschaftlichen Umgang, gehe nicht ans Telefon, beantworte keine Briefe, überarbeite meine Texte nur einmal, wenn überhaupt. Simenon hat oder hatte genauso viele Geliebte wie ich, vielleicht noch mehr, und er hat eine Unmenge von Büchern geschrieben. Ja, das stimmt, ich verschwende nicht nur Zeit – und Sperma, wenn du so willst – auf Frauen, sondern auch Geld, denn ich bin, genau wie du, ein großzügiger Mensch. Die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, wirkt übrigens auf die Künste sehr anregend.
    Darf ich dir etwas gestehen? Ich bin auf einmal entsetzlich müde, und wenn es dir nichts ausmacht, schlafe ich jetzt ein bißchen. Nein, ich träume nicht von Tolstoi, erspare mir diese Qual. Weißt du, was der Russe gesagt hat, nachdem er seine Feder so oft in das Tintenfaß getaucht hatte? ›Die Verbreitung von Schrifttum ist die mächtigste Waffe der Unwissenheit.‹ Sehr witzig.
    Du willst das Bild von Madame X sehen? Wir haben abgemacht, daß ich dir immer alles in aller Offenheit erzähle, aber keine Namen nenne, keine Bilder zeige und dich auch keine Briefe lesen lasse. Bei Madame X ist es genauso gewesen wie bei den anderen; ich habe mich in dem Augenblick, als ich sie sah, in sie verliebt, und daran bist auch du schuld, denn schließlich hast du mich zur Liebe erweckt. Sie war keine üppige Frau, aber ihr Körper hatte eine große Ausstrahlung; perfekt geformte Beine, Hinterbacken und Brüste. Ihre Haare waren an diesem Tag zu einem Knoten im Nacken zusammengefaßt, so daß Gesicht und Hals in ihrem ganzen Weiß erstrahlten. Sie bewegte sich so geschmeidig und betörend durch den Raum, daß ich sie wie erstarrt beobachtete. Es war auf einer Vernissage, und der Maler, der eingeladen hatte, scharwenzelte untertänig um sie herum. Ich hatte gerade Tod und Sport, Todeskampf als Leitgedanke veröffentlicht, in dem ich die Verherrlichung des Wettkampfsports anprangere, diese institutionalisierte Form der Erhaltung der destruktiven Triebe im Menschen, dieses obszöne, kriegslüsterne Ritual, diese abscheuliche Metapher des Wettrüstens und der Gewalt zwischen Völkern und Individuen. Gibt es etwas Groteskeres als diese in Sportlabors hergestellten Hormon-Konstrukte, diese affenähnlichen Zwerginnen am Stufenbarren, diese Riesen beiderlei Geschlechts mit
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