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Fehlfunktion

Fehlfunktion

Titel: Fehlfunktion
Autoren: Peter F. Hamilton
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1. Kapitel
     
    Graeme Nicholson saß auf seinem gewohnten Platz an der Bar im Crashed Dumper, dem Hocker, der am weitesten entfernt stand von dem plärrenden Audioblock, und lauschte Diego Sanigra, einem Besatzungsmitglied der Bryant, welcher sich über die Art und Weise beschwerte, wie Colin Rexrew mit dem Schiff umgesprungen war. Die Bryant war ein Kolonistentransporter und zwei Tage zuvor im Orbit über Lalonde eingetroffen, und bis jetzt war nicht einer der fünfeinhalbtausend Kolonisten an Bord aus seiner Null-Tau-Kapsel befreit worden. Die Geschichte sei ein einziger Skandal, behauptete Sanigra, und der Gouverneur besitze nicht das Recht, die Kolonisten an der Ausschiffung zu hindern. Und die Energie, die jede zusätzliche Stunde im Orbit verschlang, koste ein Vermögen. Die Liniengesellschaft würde die Schuld der Besatzung zuschieben, wie sie es immer tat. Sein Lohn würde geringer ausfallen, ein Bonus würde ersatzlos gestrichen, seine Aussichten auf eine Beförderung sinken, wenn nicht gar wie eine Seifenblase zerplatzen.
    Graeme Nicholson nickte verständnisvoll, während seine neurale Nanonik die unzusammenhängende Geschichte in einer Speicherzelle sicherte. Es war nicht viel Brauchbares dabei, doch Sanigras Geschichte bot gutes Hintergrundmaterial. Wie der große Konflikt selbst Einzelschicksale berührte. Genau die Sorte von Reportage, die er so perfekt beherrschte.
    Graeme war achtundsiebzig Jahre alt und seit zweiundfünfzig Jahren Reporter. Er war überzeugt, daß kein didaktischer Kurs über Journalismus ihm noch etwas Neues bieten könnte, nicht mehr. Mit seiner Erfahrung hätte er didaktische Kurse zusammenstellen sollen – nur, daß es in der gesamten Konföderation keinen Herausgeber bei einem Nachrichtenmagazin gab, der geduldet hätte, daß junge Nachwuchsreporter in einem derartigen Ausmaß korrumpiert wurden. Graeme war im buchstäblichen Sinne des Wortes ein Schreiberling mit einem todsicheren Instinkt, das alltägliche Leid in schlüpfrige, epische Tragödien zu verwandeln. Er hatte es auf den Bauch der Zuschauer abgesehen, und er war jemand, der das Elend und Unglück der kleinen Leute hervorhob, auf denen herumgetrampelt wurde und die sich nicht wehren konnten gegen die massive, seelenlose Gewalt von Regierungen, Bürokraten und großen Konzernen. Es hatte nichts mit einer moralischen Entrüstung zu tun; Graeme favorisierte seiner eigenen Meinung nach ganz gewiß nicht die Unterprivilegierten. Er hatte einfach das Gefühl, daß niedere Emotionen eine bessere Geschichte abgaben und damit höhere Zuschauerzahlen. Bis zu einem gewissen Grad hatte er sogar angefangen, wie die Opfer auszusehen, mit denen er so wunderbar mitfühlen konnte; teilweise unbewußt, denn sie waren nicht so mißtrauisch gegenüber jemandem, dessen Kleidung nicht genau paßte, der eine dicke, rötliche Haut besaß und wäßrige Augen.
    Graemes Art von Sensationshascherei war bei den Boulevardsendern beliebt, doch indem er sich auf die zweifelhaften Aspekte konzentrierte, in denen er sich am besten auskannte, und sich auf diese Weise einen Ruf als Spezialist für Abfall und Unrat erwarb, fand er sich nach und nach aus den prestigeträchtigeren Aufträgen herausgedrängt. Er hatte seit einem ganzen Jahrzehnt keine halbwegs vernünftige Story mehr abgeliefert. Im Verlauf der letzten Jahre hatte er seine neurale Nanonik immer weniger dazu verwandt, Sens-O-Vis-Aufzeichnungen anzufertigen, und statt dessen Stimulationsprogramme laufen lassen. Time Universe hatte ihm vor acht Jahren einen umfassenden Auftrag erteilt und ihn damit auf all die kleinen schäbigen Jobs abgeschoben, die niemand sonst angenommen hätte, der auch nur eine Spur von Erfahrung besaß. Alles, um ihn von den Studios und den Büros der Nachrichtendirektoren fernzuhalten, in denen die anderen seines Jahrgangs mittlerweile gelandet waren.
    Nun, das sollte sich jetzt ändern.
    Jetzt war die Zeit für seine Revanche gekommen. Graeme Nicholson war der einzige Reporter vor Ort, und er hatte Einfluß und Prestige. Lalonde würde ihm den Lohn einbringen, der ihm all die Jahre vorenthalten worden war, und vielleicht sogar einen von diesen behaglichen, warmen Bürostühlen daheim auf Decatur. Graeme Nicholson war seit drei Monaten auf Lalonde, um eine Art Dokumentation über die neue Welt und ihre Entwicklung anzufertigen und allgemeine Sens-O-Vis Eindrücke von den Siedlern und der Landschaft aufzuzeichnen – für die Bibliotheksspeicher der
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