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 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani
Autoren: Rubem Fonseca
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Liebenden … «
    »Mit einer Widmung von Ihnen: Für Delfina, die weiß, daß die Poesie eine genauso exakte Wissenschaft ist wie die Geometrie.«
    »Das ist ein Satz von Flaubert. Und zum Glück irrte er sich. Er kannte die Philosophie der Zweifelhaftigkeit (vgl. Laktos) nicht; sie ist erst nach ihm aufgekommen und besagt: es gibt keine exakte Wissenschaft, die frei ist von Mehrdeutigkeiten, Fehlern, Nachlässigkeiten, nicht einmal die Mathematik ist das. Der Wert der Poesie liegt in ihrem Paradoxon, daß nämlich das, was die Poesie sagt, das ist, was ungesagt bleibt. Ich hätte schreiben sollen: ›Für Delfina, die weiß, daß die Poesie das ist, was sie nicht ist.‹ Eine Widmung besagt im Grunde nicht viel. Man weiß nie, was man schreiben soll, wenn man eine Widmung verfassen soll, vor allem, wenn man Intelligenz und Tiefgründigkeit beweisen will.«
    »Wann waren Sie das letzte Mal mit Dona Delfina zusammen?«
    Ich lachte schallend los. »Wissen Sie was? Ich habe zwar ein paar Romane geschrieben, in denen ein Polizist die Hauptperson ist, aber ich hätte nie gewagt, einem von ihnen so einen Satz wie ›Wann haben Sie zum letzten Mal‹ und so weiter in den Mund zu legen. Ich habe immer geglaubt, daß ein Polizist so etwas nie sagen würde, es sei denn in einem zweitklassigen Film oder einer billigen Fernsehserie.«
    »Wann waren Sie das letzte Mal mit Dona Delfina zusammen?« wiederholte Guedes seelenruhig.
    »Das Datum weiß ich nicht mehr genau. Es war bei einem dieser Abendessen mit Hunderten von Leuten. Sie war schön und elegant, wie immer. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
    »Wie immer? Aber Sie haben Dona Delfina doch nur zweimal gesehen … «
    »Herr Inspektor, der Kopf eines Schriftstellers unterscheidet sich vielleicht etwas von den Köpfen, in denen Sie zu wühlen gewöhnt sind. Für einen Schriftsteller ist das geschriebene Wort Realität. Ich habe so oft in den Klatschspalten gelesen, daß Delfina Delamare schön und elegant wie immer war, daß ich nicht die geringsten Bedenken hatte, dieses fremde Klischee zu benutzen, als wäre es eine eigene Beobachtung. Wir Schriftsteller arbeiten mit Wortstereotypen. Die Realität existiert nur, wenn es ein Wort gibt, das sie definiert.«
    »Warum hatte Dona Delfina Ihr Buch im Handschuhfach ihres Wagens? Haben Sie eine Ahnung?«
    »Nein. Und ich halte das auch nicht für wichtig.«
    »Für uns ist alles wichtig.«
    Die Ruhe dieses Polypen ärgerte mich allmählich.
    »Ist die Polizei eigentlich immer so gewissenhaft? Sie haben gesagt, Sie haben keinen Zweifel daran, daß Dona Delfina sich umgebracht hat. Trotzdem ermitteln Sie weiter, stellen Fragen, wollen tausend Sachen wissen. Ist das vielleicht nichts als neugieriges Herumschnüffeln im Leben einer berühmten Frau? Ich stelle diese Frage ohne jede provokative Absicht, auch ich habe als Schriftsteller meine Neugier. Prinz Andrew, der Sohn der englischen Königin Elizabeth, hat in einem Interview gesagt, er würde gern Detektiv sein, aber nicht erklärt, warum. Vielleicht, weil dem Polizisten gestattet wird, ungehemmt seine Neugier zu befriedigen? Etwas, das selbst Prinzen untersagt ist? Kennen Sie den Satz von Plautus: curiosus nemo est quin sit malevolus? Niemand ist neugierig, ohne auch bösartig zu sein.«
    Guedes schien darüber nachzudenken, was ich gesagt hatte.
    »Sie haben recht. Ich nehme Ihre Zeit unnötig in Anspruch.«
    »Ich verreise in ein paar Tagen, der Ort nennt sich Refúgio do Pico do Gavião. Ich möchte etwas ausspannen, bevor ich richtig anfange, Bufo & Spallanzani, mein neues Buch, zu schreiben.«
    Von meiner Wohnung fuhr der Polyp zur Wache. Die Gutachten der Obduktion und der Spurensicherung waren noch nicht fertig; er überlegte, ob er die Sachverständigen anrufen und sie bitten sollte, ihm das Ergebnis der Untersuchung vorab mitzuteilen, verzichtete dann aber darauf. Schließlich gab es keinen Grund für solche Eile. Der Fall war schon geklärt.
    Er fuhr im Bus nach Hause. In seinem Stammlokal verzehrte er ein Sandwich mit einem panierten Steak und trank ein Glas Bier. Noch während er im Stehen aß, fing er an, Die Liebenden zu lesen. Als er nach Hause kam, zog er die Schuhe aus, nahm das Halfter mit dem Cobra ab, legte sich aufs Sofa und las weiter. Vorher schlug er im Wörterbuch die Bedeutung des Wortes Bufo nach.

3
     
    Guedes legte Die Liebenden auf den Fußboden, knipste die Tischlampe aus und schlief ein. Er war es gewohnt, in Kleidern zu schlafen; beim
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