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 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani
Autoren: Rubem Fonseca
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gerade von ihrem Mann, der von der Reise, die sie gemeinsam unternommen hatten, noch nicht zurückgekehrt war, sie hatte keine Kinder und keine Verwandten. Ich bin dafür, daß der Arzt dem Patienten die Wahrheit sagt, und wenn sie noch so schrecklich ist.«
    »Sie hat es sehr gut aufgenommen, haben Sie gesagt«, sagte Guedes.
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken«, erwiderte Baran, »daß sie den Freitod gesucht hat, nachdem sie die Wahrheit erfahren hat; aber für manche Menschen ist das eine Art Trost, ein Aufbegehren gegen die Grausamkeit des Schicksals.«
    Von Barans Praxis fuhr der Polizist zum Gerichtsmedizinischen Institut. Die Autopsie war noch nicht vorgenommen worden. In den letzten vierundzwanzig Stunden waren eine Menge Opfer von Gewalttaten und Verkehrsunfällen im Leichenschauhaus eingeliefert worden. Delfina Delamare wartete vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben darauf, an die Reihe zu kommen.
    Guedes suchte im Telefonbuch nach dem Namen Gustavo Flávio, fand ihn aber nicht. Das Telefon, das ich hatte, lief nicht auf meinen Namen; ich hätte aber sowieso nicht abgenommen.
    Ich berichte hier über Begebenheiten, die ich nicht miterlebt habe, und beschreibe Gefühle, die nicht unbedingt zu erkennen sein müssen, aber so eindeutig sind, daß jeder beliebige Mensch sie sich vorstellen könnte, ohne über den allwissenden Überblick des Romanschriftstellers zu verfügen. Sich in die Mentalität eines Polizisten einzufühlen ist schwierig, das gebe ich zu. Aber was Delfina Delamare betrifft, nun ja, was Delfina Delamare betrifft …
    »Ich hatte angerufen, um mich anzumelden, aber es hat keiner abgenommen«, sagte Guedes.
    »Ich gehe nie ans Telefon. Wenn ich mit jemandem sprechen möchte, rufe ich an.«
    »Kennen Sie Dona Delfina Delamare?«
    Wir, der Polizist und ich, befanden uns in meinem Arbeitszimmer, einem großen Raum mit Bücherwänden bis unter die Decke. Ich antwortete nicht gleich. Ich wollte erst herausfinden, was für eine Art Mensch der Polizist war, den ich da vor mir hatte. Auf den ersten Eindruck wirkte er wie einer von diesen Typen, die so oft neben Arbeitern, Rumtreibern, Prostituierten und Ganoven in ordinären Stehkneipen essen und trinken, daß sie sich schließlich diesem Gesindel brüderlich verbunden fühlen. Der Polyp war um einiges kleiner und schlanker als ich und hatte dünnes Haar. Seine Augen waren gelb, wie der Ring um die schwarzen Pupillen der Eulen.
    »Nicht sehr gut«, sagte ich schließlich. »Ich bin einmal oder zweimal bei ihr zu Hause gewesen, auf so einer Party mit einer ausgewogenen Mischung von Gästen, Sie wissen schon, Leute aus den verschiedensten Bereichen: Künstler, Geschäftsleute, Politiker und elegante Frauen. Ich vertrat die Literatur – der Modeschriftsteller als schmückendes Beiwerk. Normalerweise ärgern mich diese Parties, aber ich schrieb gerade an einem Roman über den Geiz der Reichen. Wenn einer viel Geld hat, will er noch mehr haben, aber nicht wegen der Sachen, die er dafür kaufen kann, Konsumfreude ist ein Tick von Leuten aus der Mittelschicht und darunter. Die Neureichen lasse ich dabei außer acht. Die Reichen quält eine furchtbare Angst: plötzlich arm zu werden. Deshalb wollen sie das Geld nicht, um etwas zu kaufen, sondern um es zu horten, zu akkumulieren. Jeder Reiche neigt dazu, ein Geizhals zu werden. Das war meine These.«
    »Könnte es nicht auch umgekehrt sein, daß jeder Geizhals danach strebt, reich zu werden?« fragte Guedes.
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Mein Held ist jedoch von Geburt an reich, sehr reich, und in seiner Jugend hat er Ideale, Träume, schreibt Sonette und so weiter; später hingegen ist er nur noch ein widerlicher, geldgieriger Kerl. Aber Sie haben recht, dieses Verhältnis von Ursache und Wirkung kann auch wechselseitig sein. Doch um zum Ausgangspunkt unserer Unterhaltung zurückzukommen: Welches Interesse hat die Polizei an Dona Delfina Delamare?«
    »Man hat sie heute morgen tot in ihrem Wagen aufgefunden. Wir nehmen an, daß es Selbstmord war.«
    »Das kann doch nicht sein! Das hätte ich nie für möglich gehalten.«
    Guedes berichtete von seinem Besuch bei Dr. Baran und dem Gespräch mit ihm.
    »Ich wußte nicht, daß sie krank war«, sagte ich. »Sie wirkte nicht krank.«
    »Im Handschuhfach des Wagens lag ein Buch von Ihnen.«
    »Ein Buch von mir? Welches? Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist, aber ich habe Hunderte von Büchern geschrieben.«
    »Die Liebenden.«
    »Ach, Die
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