Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani
Autoren: Rubem Fonseca
Vom Netzwerk:
stierartiger Konstitution und blödem Blick, die Gewichte und Hämmer durch die Luft schleudern? Schon gut, schon gut, kehren wir zu Madame X zurück.
    Als Dias vorgeführt wurden, setzte sie sich, lehnte ihren geraden Rücken an die Stuhllehne und schlug die Beine übereinander, so daß ihre Knie zu sehen waren. Sie trug ein Seidenkleid, und unter dem dünnen Stoff zeichnete sich die reizvolle Form ihrer Schenkel ab. Am liebsten hätte ich mich ihr zu Füßen gekniet (vgl. M. Mendes), fand es aber besser, auf konventionelle Art Kontakt aufzunehmen. Die Dias zeigten allesamt Bilder von Chagall. ›Mögen Sie Chagall?‹ fragte ich bei der ersten Gelegenheit. Sie antwortete ja. ›Diese Leute, die da überall herumfliegen‹, sagte ich, und sie antwortete, Chagall sei ein Künstler, der vor allem an die Liebe geglaubt habe. Am Ringfinger der linken Hand trug sie einen Brillantring. Sie war vermutlich um die Dreißig und seit etwa fünf Jahren verheiratet, denn zu diesem Zeitpunkt wird den Frauen allmählich klar, daß die Ehe eine unterdrückerische, ja geradezu krank machende, ungerechte Einrichtung ist und die Menschen verkümmern läßt, ganz abgesehen davon, daß ihre sexuellen Bedürfnisse jetzt nicht mehr befriedigt werden, denn ihre Männer sind ihrer bereits überdrüssig. Eine solche Frau ist eine leichte Beute, der romantische Traum ist ausgeträumt, übriggeblieben sind Enttäuschung, Langeweile, moralische Verwirrung, Verletzlichkeit. Und da taucht ein Libertin wie ich auf und verführt die arme Frau. Ich hatte einen Menschen vor mir, der an die Liebe glaubte. ›Daß keiner sterbe, eh er geliebt‹, (vgl. Saint-John Perse) sagte ich. Französisch mag zwar eine tote Sprache sein, aber es ist wunderschön und funktioniert hervorragend bei den Frauen der Bourgeoisie. ›Leider ist die Welt nicht so, wie die Dichter sie gern hätten‹, sagte sie. Ich lud sie zu einem Abendessen ein; sie zögerte und willigte schließlich ein, mit mir zum Mittagessen zu gehen. Es war das erste Mal, daß sie mit einem anderen Mann in ein Restaurant ging.
    Ihr Mann war sehr vermögend und in der Gesellschaft angesehen. Ihre Ehe hatte, wie sie sagte, jenen Punkt erreicht, an dem die Routine Langeweile erzeugt und die Langeweile Apathie und die Apathie innere Unruhe, anschließend mangelndes Verständnis, Aversion und so weiter. Sie versuchte, diese Entwicklung rückgängig zu machen, indem sie mit ihrem Mann reiste, nach Indien, nach China, immer weiter weg, als ob die Probleme nicht mitreisten. Sie brachte ihren Mann dazu, eine Fazenda in der Nähe zu kaufen (die andere, die sie besaßen, befand sich in Mato Grosso), fütterte ein paarmal die Zicklein mit der Flasche, dann machte ihr die ganze Sache keinen Spaß mehr. Sie versuchte, Kinder zu bekommen, aber sie war unfruchtbar; dann wandte sie sich der Wohltätigkeitsarbeit zu und trat in den Vorstand eines Verbandes ein, der sich bemühte, Prostituierte und Bettler zu resozialisieren.
    Als wir zum erstenmal zusammen zum Mittagessen gingen, aß sie praktisch nichts. Sie trank nur ein Glas Wein. Wir sprachen über Bücher, und sie sagte, brasilianische Literatur gefalle ihr nicht, und gab arglos zu, daß sie keines meiner Bücher gelesen hatte, womit deine Theorie zusammenbricht, meine Liebe, daß sie von dem Schriftsteller hingerissen war. Ich fragte sie nach ihrem Lieblingsautor, und sie nannte Moravia. Sie hatte La Vita Interiore und L’Amante Infelice gelesen, im Original, wie sie betonte. Das Stichwort Moravia bot mir die erhoffte Gelegenheit, über Sex zu reden. Ich sagte ihr, ich sei in bezug auf Sex im Leben und in der Literatur der gleichen Ansicht wie Moravia, das heißt, Sex sei etwas, was nicht durch Metaphern verdorben werden dürfe, weil es eben nichts gäbe, was ihm ähnlich sei oder gleichkomme. Ich entwickelte diesen schlauen Gedanken weiter, und so landeten wir ganz zwanglos bei uns persönlich betreffenden Überlegungen. Geschickt brachte ich das Gespräch auf die alten abgedroschenen Themen wie sexuelle Freiheit, Liebe ohne Besitzanspruch, Hedonismus, Recht auf Lust. Es war fünf Uhr nachmittags, wir saßen noch immer im Restaurant und redeten beide ohne Punkt und Komma; ich glaube, es gab keine einzige Sekunde Schweigen zwischen uns. Ich weiß noch, daß sie mich irgendwann fragte, was der Unterschied sei zwischen Sex bei zwei Menschen, die sich lieben, und Sex bei zwei Menschen, die sich nur begehren. Ich antwortete: ›Vertrauen. Zwei, die sich lieben,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher