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Brandherd

Brandherd

Titel: Brandherd
Autoren: Patricia Cornwell
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    Benton Wesley zog sich gerade in meiner Küche die Laufschuhe aus, als ich auf ihn zustürzte. Das Herz schlug mir vor Angst, Hass und schrecklicher Erinnerung fast bis zum Hals. Carrie Grethens Brief hatte in einem Stapel Post und Unterlagen gelegen, den ich erst einmal ungeöffnet beiseite geschoben hatte, bis vor einem Augenblick, als ich beschlossen hatte, mir in der Ungestörtheit meines Hauses in Richmond, Virginia, eine Tasse Zimttee zu machen. Es war Sonntagnachmittag, der achte Juni, vierzehn Uhr zweiunddreißig.
    »Ich nehme an, sie hat ihn dir ins Büro geschickt?«
    Er wirkte nicht beunruhigt, als er sich niederbeugte und sich die weißen Nike-Socken von den Füßen rollte.
    »Rose liest keine Post, die als persönlich und vertraulich gekennzeichnet ist«, fügte ich hinzu. Er wusste das, und mir pochte das Blut in den Adern.
    »Sollte sie vielleicht besser. Du scheinst eine Menge Fans da draußen zu haben.«
    Ich beobachtete ihn, wie er die bleichen Füße auf den Boden setzte, die Ellenbogen auf die Knie stützte und den Kopf gesenkt hielt. Schweiß rann ihm über Schultern und Arme, die wohlgeformt waren für einen Mann seines Alters, und mein Blick wanderte von den Knien zu den schlanken Fesseln hinab, an denen sich noch das Muster seiner Socken abzeichnete. Er fuhr sich mit den Fingern durch das feuchte, silbergraue Haar und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
    »Herrje«, murmelte er, während er sich das Gesicht und den Hals mit einem Handtuch abwischte. »Ich bin zu al t für diesen Mist.«
    Er holte tief Luft und atmete langsam aus mit wachsendem Unmut. Die Armbanduhr, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, eine Breitling Aerospace aus rostfreiem Stahl, lag auf dem Tisch. Er nahm sie und ließ sie um sein Handgelenk schnappen.
    »Verdammt noch mal. Solche Leute sind schlimmer als ein Krebsgeschwür. Lass mich mal sehen«, sagte er.
    Der Brief war handgeschrieben, in bizarren roten Blockbuchstaben, und am oberen Seitenrand befand sich die unbeholfene Zeichnung eines Vogels mit Schopf und langen Schwanzfedern.
    Darunter, rätselhaft, das lateinische Wort ergo, d. h. folglich, mit dem ich in diesem Zusammenhang überhaupt nichts anzufangen wusste. Mit spitzen Fingern entfaltete ich das Blatt, schlichtes weißes Schreibmaschinenpapier, und legte es vor ihn auf den alten französischen Frühstückstisch aus Eichenholz. Ohne das Dokument zu berühren, das möglicherweise noch als Beweisstück dienen würde, nahm er aufmerksam Carrie Grethens merkwürdige Worte in sich auf und begann, sie in die Datenbank seines Gehirns einzufügen.
    »Der Poststempel ist New York, und natürlich hat es im Zusammenhang mit ihrem Prozess dort einiges an Presse gegeben«, sagte ich in dem verzweifelten Wunsch, der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen. »Vor zwei Wochen erst ist ein sensationsheischender Artikel über sie erschienen. Praktisch jeder hätte den Namen Carrie Grethen aus dieser Quelle erfahren können.
    Mal abgesehen davon, dass die Anschrift meiner Dienststelle jedermann zugänglich ist. Vermutlich stammt dieser Brief gar nicht von ihr. Vermutlich ist er von irgendeinem Verrückten.«
    »Er ist wahrscheinlich von ihr.« Er las weiter.
    »Du meinst, sie könnte so was aus der geschlossenen Abteilung einer forensischen Psychiatrie verschicken, ohne dass es jemand kontrollieren würde«, entgegnete ich, während die Angst mir das Herz zuschnürte.
    »Saint Elizabeth's, Bellevue, Mid-Hudson, Kirby.« Er schaute nicht auf. »Die Carrie Grethens, die John Hinckley Juniors, die Mark David Chapmans sind Patienten, keine Häftlinge. Sie genießen die gleichen bürgerlichen Rechte wie wir, während sie in Strafvollzugsanstalten und forensischen Psychiatrien herumhocken, pädophile Anschlagbretter fürs Internet entwerfen und per E-Mail Serienkillertips verkaufen. Und höhnische Briefe an Chief Medical Examiners verschicken.«
    Seine Stimme klang jetzt aggressiver, seine Worte schärfer. In Bentons Augen war Hass, als er endlich den Blick hob und mich ansah.
    »Carrie Grethen macht sich über dich lustig, Big Chief. Über das FBI. Über mich«, fuhr er fort.
    »FIB«, murmelte ich und hätte das bei anderer Gelegenheit sogar komisch gefunden.
    Wesley stand auf und warf sich das Handtuch über die Schulter.
    »Nehmen wir also mal an, sie war es«, fing ich wieder an.
    »Sie war es.« Er schloss jeden Zweifel aus.
    »Na gut. Dann steckt aber mehr dahinter als ein bisschen Spott, Benton.«
    »Klar. Wir
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