Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Sie saß zum ersten Mal auf einem Maulesel und wußte nicht zu sagen, weshalb sie sich eigentlich in den harten, zerschlissenen Ledersattel hatte heben lassen. Die anderen Mitglieder der Reisegesellschaft hatten die Maulesel mit großem Hallo begrüßt, und plötzlich stand so ein geduldiges Tier auch vor ihr, und ein freundlich lächelnder Mann sagte in gebrochenem Deutsch: »Gospoda, auch reiten?« Sie hatte kaum genickt, da fühlte sie sich schon hochgestemmt, und nun hockte sie auf dem leicht bebenden Rücken.
    Sie nahm die Lederzügel, mit denen sie nichts anzufangen wußte, in die Hände und kam sich reichlich dumm vor. Das Stimmengewirr um sie herum klang in ihren Ohren wie das kreischende Gesumm übergroßer Bienen. Gleich trotten wir durch die Landschaft, dachte sie, Esel hinter Esel, und wiegen uns in dem Hochgefühl, reiten zu können! Wie kindisch man doch werden kann. Es wäre besser gewesen, im Hotel zu bleiben, auf dem Balkon zu liegen und über das Meer zu blicken. So hatte sie es schon seit zwei Wochen gehalten, hatte sich abgesondert, sich verkrochen, immer wie auf der Suche nach sich selbst. Dieser Ausflug zu den staatlichen Teeplantagen von Dagomys war ein Fehler gewesen; das Lachen der Menschen tat ihr fast körperlich weh.
    Sie sah sich um und überlegte, ob sie nicht absteigen und auf diesen dummen Touristenritt verzichten sollte. Aber dazu war es schon zu spät. Die Kolonne setzte sich in Bewegung, voraus ritt ein Führer in der Tracht der Krasnodarer Bauern. Ein paar Frauen kreischten auf, als ihre Tiere sich plötzlich ruckartig bewegten; ein dicker Mann, der ihr durch seine albernen Witze schon im Bus aufgefallen war, schrie mit rotem Kopf: »Kinder, den richtigen Schenkeldruck nicht vergessen!«, und dann trabte auch ihr Maulesel los und reihte sich in die Kolonne ein.
    Sie ritten auf schmalen, buschgesäumten Wegen durch die weiten grünen Teefelder und kamen bald in einen herrlichen Hochwald, der mit kleinen funkelnden Seen durchsetzt war. Dem Dicken, vier Esel vor ihr, war nach Singen zumute, er schrie: »Alle: Warum ist es am Rhein so schön … Drei, vier …« – aber keiner stimmte ein. Jetzt führte der Weg abwärts; die Maulesel fielen in eine schnellere Gangart, es wurde fast ein leichter Galopp, die Frauen juchzten, auch sie hatte Mühe, sich gerade im Sattel zu halten.
    An einer Biegung des Weges geschah es: Ein großer schlanker Mann kippte von seinem Reittier, rollte über den Weg und blieb seitlich an einem Busch liegen, als sei er vom Sturz betäubt. Der Dicke brüllte: »Das Ganze halt!«, ein paar Frauen riefen »Stopp!«, aber da das Leittier weitertrabte, folgten die anderen unbeirrt.
    Ihr Maulesel jedoch blieb mit einem Ruck stehen. Die drei Touristen, die noch hinter ihr waren, trabten, mit den Armen fuchtelnd, an ihr vorbei; auch sie brüllten völlig umsonst: »Halt! Halt!«
    »Ich werde mich um ihn kümmern!« rief sie ihnen nach. »Ich warte hier.«
    Vorsichtig stieg sie ab. Das Tier stand unbeweglich wie ein Denkmal und machte keine Schwierigkeiten. Der Mann lag noch immer vor dem Busch auf dem Rücken, hatte die Beine angezogen und tastete sie mit beiden Händen ab. Sein Esel stand mit hängendem Kopf daneben.
    »Karascho!« sagte der Mann mit etwas bemühtem Lächeln, als sie sich über ihn beugte. Er fuhr mit den Fingern durch seine blonden Haare und stemmte sich dann zum Sitzen hoch. Sie half ihm, indem sie seinen Rücken stützte. »Prastiti! Iswiniti sa bispakoistwa …«
    »Ich kann kein Russisch.« Sie kniete sich neben ihn und blickte an ihm herunter. Er schien nirgendwo zu bluten. »Aber Englisch oder auch Französisch.«
    »Verzeihung«, wiederholte er, auf deutsch. Er sprach weiter, fast fehlerfrei, nur mit etwas harter Betonung. »Ich sagte: Entschuldigen Sie die Störung …« Sein Lächeln verstärkte sich. Er hat graue Augen, dachte sie verblüfft. Blonde Haare und graue Augen! Ich habe gar nicht gewußt, daß es graue Augen gibt. Eine merkwürdige Irisfarbe … unergründlich, undurchsichtig.
    »Sie haben einen gefährlich aussehenden Sturz getan«, sagte sie. »Sie haben sich mindestens dreimal überkugelt.«
    »Ich habe mich abgerollt.« Er legte die Hände auf seine ausgestreckten Beine und lachte in jungenhaftem Ton. »Das habe ich oft geübt. Bei der Ausbildung zum Fallschirmjäger. Ist das nicht ein Witz?! Da hat man gelernt, aus etlichen tausend Metern Höhe ins Nichts zu springen, aber hier auf der Erde fällt man von einem Esel wie ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher