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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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hinein und leistete mir eine Bockwurst mit Kartoffelsalat sowie ein Mineralwasser und einen Kaffee. Ich fand einen freien Tisch, hockte mich hin und sah mich um, versuchte mir vorzustellen, wer mich als nächster mitnehmen würde. Die Familien mit Kindern schieden aus, die hatten selbst kaum genug Platz im Auto. Ich ging von Tisch zu Tisch und fragte, ob mich jemand mit nach Berlin nehmen könnte. Niemand wollte nach Berlin, nicht mal in die Richtung.
    Ich ging aufs Klo.
    Als ich wieder zurückkam, paßte mich eine alte Dame ab, berührte mich am Unterarm und sagte: »Wo möchten Sie denn hin?«
    »Berlin«, sagte ich.
    »Ich muß nach Potsdam«, sagt sie.
    »Das würde mir sehr weiterhelfen«, sagte ich.
    »Haben Sie einen Führerschein?«
    »Ja, sicher.«
    »Sie müßten selber fahren, macht Ihnen das etwas aus?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Gut. Kommen Sie.«
    Sie fuhr einen riesigen, goldmetallicfarbenen Benz, S-Klasse.
    »Sind Sie sicher, daß ich den fahren soll?« fragte ich.
    »Trauen Sie sich das nicht zu?«
    »Doch, natürlich.«
    Sie drückte mir die Schlüssel in die Hand, ging zur Beifahrerseite und stieg ein. Ich öffnete die Fahrertür, schob den Sitz nach hinten und setzte mich.
    Nach ein paar Minuten sagte die alte Dame, daß sie aus Mailand gekommen und nun einfach zu müde sei, um den Rest selbst zu fahren. Sie habe aber auch nicht unterwegs übernachten wollen. Und kurz darauf war sie eingeschlafen.
    Es wurde langsam dunkel. Ich beschleunigte behutsam.
    Am späten Abend waren wir vor Potsdam, und ich berührte die alte Dame vorsichtig an der Schulter, und sie schreckte hoch.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich, »aber wir sind jetzt kurz vor Potsdam.«
    »O ja, gut«, sagte sie. Dann sagte sie mir, wo ich abfahren mußte, und lotste mich durch die Stadt in einen Vorort, und schließlich hielten wir vor einer alten Jugendstilvilla. Einen Moment lang dachte ich, sie würde mich vielleicht hereinbitten und mir ein Bett für die Nacht anbieten, aber als wir ausstiegen, sah sie auf die Uhr, runzelte die Stirn und sagte, wir seien ja ganz schön früh dran. »Sie haben den Wagen ja nicht gerade geschont, junger Mann.«
    »Hätte ich das tun sollen?«
    »Wenn Sie die Straße entlanggehen, kommen Sie automatisch zur S-Bahn. Dann sind Sie in einer halben Stunde in Berlin.«
    »Danke«, sagte ich und machte mich auf den Weg. Als ich mich umdrehte, sah ich noch, wie die Alte in den Wagen stieg und den Weg zurückfuhr, den wir gekommen waren. Wahrscheinlich war es ihr zu gefährlich gewesen, sich vor ihrem eigenen Haus absetzen zu lassen.
    »Automatisch« kam ich erst mal nirgendwo hin. Es war auch niemand unterwegs, den ich hätte fragen können. Die Straßenlaternen leuchteten orange. Dann stand ich vor dem Eingang zum Filmgelände Babelsberg. Ich ging zum Pförtner und klopfte an seine Scheibe. In der Bude saß eine Frau im Bademantel. Der Pförtner war nicht gerade begeistert, von mir gestört zu werden. Er hatte einen riesigen, fast völlig kahlen Kopf und eine große, schwarze Stelle auf der rechten Wange. Er schwitzte. Dabei war es mittlerweile einigermaßen kühl. Ich fragte ihn nach der S-Bahn. Das brachte ihn aus der Fassung.
    »Die S-Bahn? Sie klopfen hier um diese Zeit, um mich nach der S-Bahn zu fragen? Sind Sie noch ganz dicht? Sie können mich mal am Arsch lecken, Sie mit Ihrer S-Bahn!« Er wandte sich wieder der Frau im Bademantel zu. Ich wartete noch ein paar Sekunden und hoffte, daß er sich nur einen Spaß mit mir erlaubt hatte. Dann ging ich weiter. Kurz darauf hörte ich Schritte hinter mir. Ich drehte mich um. Es war die Frau im Bademantel. Sie hielt den Mantel züchtig unterm Kinn zusammen. Sie war hübsch.
    »Guten Abend«, sagte sie.
    »Guten Abend.«
    »Zur S-Bahn müssen Sie da vorn rechts abbiegen!« sagte sie und zeigte in die Richtung, in die ich unterwegs war. »Aber ich würde Ihnen raten, um diese Zeit nicht mehr mit der S-Bahn zu fahren.«
    »Wieso nicht?«
    »Es sind viele böse Menschen unterwegs um diese Zeit.«
    »Leute wie Sie und ich?«
    »War das jetzt witzig?« fragte sie.
    »Nein. Sonst hätten Sie ja gelacht.«
    »Mann, Sie haben sie ja nicht alle!« sagte sie, drehte sich um und rannte zurück. Ich blickte ihr nach. Plötzlich blieb sie stehen, drehte sich um und rief: »Ich bin nicht so eine wie Sie denken. Ich bin Schauspielerin. Nur in einer dämlichen Vorabendserie, aber immerhin. Und ich leiste dem Mann da nur ein wenig Gesellschaft. Ich bin kein
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