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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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Verstärker, daneben lagen ein paar Klassik-CDs. Im Schlafzimmer stand ein breites französisches Bett und ein schwarzer Kleiderschrank mit Lamellentüren. Die ganze Wohnung war mit hellem Velours ausgelegt. Wolfgang schenkte mir einen Whiskey ein und sagte, er sei gleich wieder da. Ich ging hinaus auf den Balkon, sah auf die Straße hinunter und nippte am Whiskey. Nach ein paar Minuten kam Wolfgang zurück, im Bademantel. Darunter trug er einen seidenen Pyjama. In der Hand hielt er einen weiteren Pyjama in der gleichen Farbe. »Hier«, sagte er. Ich sagte »Danke«. Dann gingen wir hinein und setzten uns in die Sessel, und Wolfgang goß sich auch noch einen Whiskey ein. Als wir beide stumm ausgetrunken hatten, ging ich ins Bad und zog mich um, legte meine Sachen auf den Badewannenrand. Das Bad war komplett weiß gekachelt, sehr sauber. Ich öffnete den Spiegelschrank über dem Spülstein. Darin waren nur eine Flasche Rasierwasser und ein Trockenrasierer. Alles war sehr sauber, bis in die Ecken.
    Als ich aus dem Bad kam, stand Wolfgang in der Tür zum Schlafzimmer. »Sie nehmen vielleicht die linke Seite. Die rechte ist meine.« Auf dem Digitalwecker neben dem Bett war es halb fünf morgens. Das Bett war breit genug, daß wir uns nicht in die Quere kommen würden.
    Ich legte mich hin und drehte mich gleich auf die Seite. Als Wolfgang sich hingelegt hatte, sagte ich »Gute Nacht«. Und: »Vielen Dank.« Wolfgang antwortete nicht. Ich war gerade dabei einzuschlafen, als er mich fragte: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie umarme?«
    Ich sagte nichts.
    »Verstehen Sie das nicht falsch. Ich bin nicht… Naja, nicht, was Sie vielleicht denken. Es ist nur so… Ich habe schon lange niemanden mehr im Arm gehalten. Es wäre nur für ein paar Minuten. Das ist alles.«
    Ich sagte nichts, und nach einigen Sekunden kam Wolfgang näher und legte von hinten die Arme um mich. Mehr tat er nicht. Und wieder ein paar Sekunden später war ich eingeschlafen.
    Als ich wach wurde, war es kurz nach sieben. Ich hatte nur knapp zweieinhalb Stunden geschlafen. Ich fühlte mich immer noch sehr müde, hatte immer noch Kopfschmerzen. Wolfgang hatte sich wieder von mir weggedreht und atmete gleichmäßig. Ich stand auf, ging ins Bad, duschte, zog mich an und verließ die Wohnung.
    Ich ging zum S-Bahnhof Alexanderplatz und gestattete mir in einem Stehcafe einen Kaffee und zwei Croissants. Um mich herum tobte der Berufsverkehr. Ich kaufte die taz und sah im Impressum nach. Die Redaktion saß in der Kochstraße. Das war nicht weit von hier. Ich trank noch einen Kaffee, schlug die Zeit tot. Ich sah mir die Leute um mich herum an und wartete darauf, daß mal wieder einer zu mir kam und mir sagte, was er oder sie alles nicht sei: nicht schwul, kein Flittchen, kein Nazi.
    Ich setzte mich unter die Weltuhr auf dem Alexanderplatz und las die taz von vorne bis hinten. Nichts von Britta. Ihr Name stand auch nicht im Impressum. Als die Geschäfte öffneten, machte ich mich auf den Weg.
    Die taz saß in einem schönen alten Haus unweit des ehemaligen Checkpoint Charlie. Ich postierte mich auf der anderen Straßenseite. Wenn sie drin war, mußte sie herauskommen, und wenn sie noch nicht drin war, mußte sie irgendwann hineingehen. Meine Knie waren weich, aber ich war hellwach.
    Bis Mittag geschah gar nichts. Ich spürte, wie meine Konzentration nachließ. Ich hätte noch immer in Wolfgangs Armen liegen können. Statt dessen stand ich hier und starrte eine Fassade an.
    Dann, endlich, es war kurz vor eins, sah ich sie. Sie ging an einem der Fenster im dritten Stock vorbei. Sie war es, ganz sicher. Sie lehnte sich mit dem Rücken zur Scheibe gegen das Fensterbrett. Sie sah toll aus. Ich hatte ihr Gesicht nur für eine oder zwei Sekunden gesehen. Sie sah wieder so aus wie früher, wie vor siebzehn Jahren. Nicht mehr wie neunundachtzig, als sie so traurig und still gewesen war. Sie lachte. Sie trug ein weißes T-Shirt. Sie sah glücklich aus.
    Den ganzen Nachmittag ging ich vor dem Haus auf und ab und wartete auf sie. Aber sie kam nicht heraus. Dann ging ich hinein und nach oben und ging von Büro zu Büro und fragte nach Britta, aber alle sagten, eine Britta gebe es hier nicht. Ich sagte, ich hätte sie doch gesehen, von der Straße aus hätte ich sie am Fenster stehen sehen. Die Leute zuckten nur mit den Schultern. Es gab überhaupt keine Frau in einem weißen T-Shirt.
    Als ich aus dem Haus herauskam, war ich erledigt. Weiter ging es nicht. Ich konnte
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