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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord
Autoren: Daniel Imran
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Doch die Haustür ging auf. Seine Mutter stand in der Tür und starrte ihn grimmig an. „Komm sofort nach Hause! Dein Vater will mit dir sprechen!“
     
    Die junge Frau lächelte ihn immer noch an. Sie hatte dunkles langes lockiges Haar, solch schönen Haare hatte Matthias noch nie gesehen.
    „Wer bist du? Ich habe dich noch nie hier gesehen. Und vor allem, woher wusstest du, dass ich hier bin?“
    „ Ich bin mit meinem älteren Bruder gestern hier angekommen. Wir kommen aus Kafro.“
    „ Kafro, dort bin ich seit vielen Jahren nicht mehr gewesen.“
    „ Ich habe dich auch nie dort gesehen.“
    „ Ich reise nicht gerne.“
    Immer noch lächelte sie ihn liebevoll an. Sie setzte sich im Schneidersitz vor ihm hin. Matthias betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Ein unterbewusstes Gefühl sagte ihm, diese Frau sei für ihn bestimmt.
    „Warum seid ihr hierhin gekommen?“
    „ Mein Bruder ist Arzt. Der Wesir des Agha Bilad wurde schwer verletzt und musste behandelt werden.“
    „ Hat er es überlebt?“
    „ Ja, er wird es überleben.“
    Der Mörder seines Bruders hatte doch noch das Attentat auf ihn überlebt. Wut entbrannte in Matthias, jedoch war er andererseits erleichtert. Wenn der Wesir gestorben wäre, was für Repressalien seitens des Aghas das nach sich gezogen hätte, darüber wollte der Kleinwüchsige nicht nachdenken.
    „Uns Christen ist der Zugang zu den Hochschulen nicht gestattet. Wie kann es sein, dass dein Bruder Arzt ist?“
    „ Wir sind Muslime. Muslimische Kurden.“
    Er schaute überrascht. Mensch, er hatte nie Glück, dachte er. Sie war wohl doch nicht für ihn bestimmt. Oder vielleicht doch?
    „Du sprichst fließend Aramäisch.“
    „ Meine Eltern sind früh gestorben. Wir wuchsen bei Aramäern von Arbo auf. Wir haben zwar unsere Herkunft nie vergessen, doch wir wissen, welch Unrecht euch angetan wurde von unserem Volk. Mein Bruder beschloss, Medizin zu studieren, Arzt zu werden, und hier im Tur Abdin dem Volke ehrenamtlich zu dienen.“
    Wer arbeitet denn schon, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen, fragte sich Matthias. Diese Geschichte schien ihm zwar unglaubwürdig, doch waren alle Details irrelevant für ihn. Ihm war es gleichgültig, woher dieses zarte Geschöpf herkam. Von wo sie auch immer gekommen war, er bedankte sich bei Gott für dieses Geschenk.
    „Warum versteckst du dich hier?“
    „ Verstecken? Ich verstecke mich nicht“, erwiderte Matthias nervös.
    „ Doch, du versteckst dich vor jemandem.“
    „ Ach, das ist eine lange Geschichte.“
    Sie drängte ihn dazu, ihr von dem Ereignis des vorherigen Tages zu erzählen. Schließlich gab er nach.
    „Er hat meinen Bruder umgebracht.“

 
    „ Unfassbar, was da geschehen ist. Ich kann deine Wut nachvollziehen. Dich trifft keine Schuld.“
    „ Doch, wäre ich nicht so unvorsichtig umhergezogen, wäre all das nie geschehen.“
    „ Alles geschieht aus einem bestimmten Grund. Der Mensch darf sich nicht als Ursache des Geschehenen sehen. Bestimmt wäre ohne deine Gegenwart genau dasselbe geschehen.“
    Ihre Worte trösteten ihn. Sie überraschte ihn mit ihrer Weisheit. Ja, vielleicht war es wirklich wahr, Gott hatte sie zu ihm geführt.
    „Von wo aus ist der Schuss gefallen?“
    „ Das weiß ich nicht genau.“
    „ Versuche, dich genau zu erinnern.“
    „ Ich glaube, aus Osten.“
    „ Dann hat wohl irgendjemand oberhalb des Bergkamms auf den Wesir geschossen.“
    „ Ja, das ist möglich. Wer auch immer es gewesen ist, er soll in der Hölle schmoren. Er muss dafür bestraft werden!“
    „ Der Schütze muss jemand aus eurem Dorf gewesen sein. Alle Männer, die im Besitz einer Waffe sind, sollten sie abliefern. Jede dieser Waffen sollte untersucht werden, um so festzustellen, welche erst kürzlich verwendet wurde.“
    Sie imponierte ihm. Dies war gewiss ein guter Vorschlag.
    „Ich kann nicht mehr zurück. Gehe du zu ihnen.“
    „ Nein, du musst mitkommen! Ich bin eine Fremde für sie. Du bist ein Augenzeuge, nur auf dich werden sie hören. Lass dich nicht von irgendjemanden einschüchtern, egal wer, auch wenn es deine eigene Familie sein sollte. Komm mit!“
    Sie sprang auf, klopfte sich den Staub von ihrem Kleid und streckte ihre linke Hand nach ihm aus. Sie lächelte wieder. Wie sehr er ihr Lächeln liebte. Für einen Moment war er glücklich, Hoffnung keimte wieder in ihm auf. Er setzte sich auf. Zum ersten Mal nach so langer Zeit lächelte er aufrichtig, mit einem freudigen Herzen in der Brust.
    „Wie heißt
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