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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord
Autoren: Daniel Imran
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Schuss ab. Dann fiel er in Ohnmacht. Einer der beiden Türken fing den Wesir auf. Die Türken schauten sich fassungslos gegenseitig an.
    Matthias schrie auf. Er rannte zu seinem Bruder hin. Gabriel rührte sich nicht mehr. Die Kugel des Wesirs war glatt durch sein Herz gegangen. Matthias kniete sich auf den Boden. Er hob Gabriels Kopf an. In diesem Moment wusste er nicht, was zu tun war. Die Ereignisse überschlugen sich. War das alles nur ein schrecklicher Albtraum? Oder war es ein auf ihn lastender Fluch, welcher all dieses Unheil verursacht hatte, fragte er sich.
    Sein Bruder öffnete die Augen. Matthias lächelte. „Gabriel, du wirst nicht sterben. Du wirst nicht sterben.“
    „ Warum hast du mich ...“
    Er schloss die Augen. Für immer.
    Matthias schrie vor Verzweiflung.
    Er hörte Schritte aus der Ferne. Das gesamte Dorf war auf dem Weg zu diesem Schlachtfeld. Der kleine Mann fiel erschöpft zu Boden.
    Die beiden Türken hielten ihr Gemüt im Zaum. Einer von ihnen bestieg gelassen sein Ross und ritt gen Westen nach Mardin, um dem Agha von dem Vorfall zu berichten. Der andere Mann setzte den Leib des Wesirs auf sein Ross, mit dem Rücken des Kurden zum Himmel gerichtet. Erst jetzt wandte er sich in Richtung des Aramäers um und vernahm, was geschehen war. Er ahnte schon, die Dorfbewohner würden in wenigen Augenblicken auftauchen, einige würden wohl Waffen dabei haben. Vorsichtshalber zog er sein Revolver hervor.
    Zuerst eilten die Alten des Dorfes herbei.
    Maria, die Mutter des getöteten jungen Mannes, schlug die Männer zur Seite und fiel zu Boden. Matthias wusste nicht, wie er hätte seine Mutter beruhigen können. Sie schrie, weinte, schimpfte, sie gab die schlimmsten Flüche von sich. Sie beschimpfte nicht nur den Mörder ihres Sohnes sondern auch Matthias, welchen sie prompt zum Schuldigen für diese Tragödie verurteilte.
    „ Matthias, was im Namen aller Heiligen ist geschehen?“
    Matthias schaute immer noch verzweifelt und verstört die Leiche seines kleinen Bruders an.
    „Dieser Mann dahinten muss es gewesen sein“, sagte Muksi Antar.
    Der junge Tuma richtete sein Gewehr auf. Scham'en und Danho, der Sohn des Muksi Antar, taten es ihm gleich.
    Der Türke stand stramm, sein rechter Arm gestreckt, mit der Waffe gegen die Aramäer gerichtet.   
     
    „Was in Gottes Namen ist hier los? Tretet zur Seite!“
    Die Männer machten dem Abuna, dem Pfarrer des Dorfes, Platz. Der Geistliche war der einzige Mann im Dorf mit einem kurz gestutzten weißen Vollbart. Alle Dorfbewohner respektierten ihn, auch die hier ebenfalls ansässigen kurdischen Jesiden und auch die in den Höhlen der Berge lebenden Zigeuner.
    Aljas, der Dorfälteste und einzige Mann im Dorf mit Vollglatze, trat vor und blieb neben dem Priester stehen. „Abuna, was sollen wir tun?“
    Der Pfarrer schaute entsetzt auf die Leiche des kleinen Jungen. Wut keimte in ihm auf, jedoch wusste er stets seinen Zorn im Zaum zu halten.
    Dem Türken auf der anderen Seite war die Aussichtslosigkeit seiner Lage bewusst. Würde er jetzt feuern, wäre er mit Sicherheit mit der ersten Salve der Aramäer ein toter Mann. Zur Verwunderung der Aramäer legte er seine Waffe auf den Boden. Der Abuna versuchte, die bewaffneten jungen Männer zu beruhigen. Tuma und Scham'en rannten zum Türken herüber, einer von ihnen nahm die Waffe, der andere schaute sich den verwundeten Wesir genauer an.
    „ Mein Sohn ist tot! Mein Sohn ist tot!“, schrie sich Maria ihre Verzweiflung aus der Kehle. „Du bist an allem schuld! Du kleiner Teufel, verschwinde aus meinen Augen!“
    Matthias wollte seine Mutter trösten, jedoch wurde ihr Gebrüll nur lauter. Aljas und der Abuna hatten Mitleid mit Matthias. Der Priester beugte sich vor zu ihm. „Was ist geschehen, mein Sohn? Erzähle es uns.“
    Matthias erhob sich, sein Gesicht war rot und von Tränen bedeckt. „Ja, sie hat recht. Wäre ich nicht gewesen, wäre all das nicht geschehen. Es ist alles meine Schuld.“
    „ Nein, das stimmt nicht, mein Sohn. Erzähle uns, was geschehen ist. Diese Tragödie ist gewiss nicht deine Schuld gewesen.“
    Der kleine Mann ballte seine Hände zu Fäusten. Die ganze Zeit über starrte er die Leiche an. In seinen Augen konnte man Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Angst und Ungläubigkeit erkennen. Er rannte weg. Niemand lief ihm hinterher.
    „Komm zurück!“
    Der Abuna hielt sich zurück. Er sprach ein Gebet für den Toten, die Menschenmenge hinter ihm schwieg, einige von ihnen quasselten
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