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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord
Autoren: Daniel Imran
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Bild von der Landschaft zu machen. Badibe war das höchstgelegene aramäische Dorf, der Gipfel des Berges Masios, wie er vor Urzeiten von den Griechen genannt wurde. Für die Menschen, die seit Jahrtausenden hier lebenden Aramäer, für diese interessierten sie sich nicht sonderlich. Einzig und allein dieser Kleinwüchsige dort, welcher beinahe von einer Natter gebissen worden wäre, konnte ihre Aufmerksamkeit für kurze Zeit auf sich lenken. Und ihr Interesse. Jedoch nicht aus Menschlichkeit hervorgekommenem Interesse, sondern mehr aus voyeuristischer Sicht betrachtet. Der Kurde jedoch schien tatsächlich bewegt gewesen zu sein, als er den kleinen Mann in angsterfüllter Position erblickte.
    Doch dann, die Pferde zuckten zusammen, eines der beiden Türken wieherte auf.
    Ein Schuss war gefallen.   
     
    Johannes grinste, das Gewehr 88 seines Vaters war präpariert.
    „Was machen wir, wenn dein Vater unerwartet früher nach Hause kommt?“
    „ Nein, das wird er nicht! Wir haben doch Ostern. Deswegen wird er diese Tage bei seinen Freunden in der Charabale genießen.“
    „ Und deine Mutter? Das ist zu gefährlich, Hinno.“
    „ Ach, jetzt nerve mich nicht mehr damit! Sie ist stolz die Frau des Bürgermeisters zu sein und schnüffelt nicht in den Sachen meines Vaters herum.“
    „ Aber ...“
    Was war das gewesen? Die beiden Kinder zuckten zusammen, sie hörten einen Schuss aus der Ferne. Der Schuss konnte nicht allzu weit abgefeuert worden sein, so viel Ahnung von Waffen hatten diese beiden ungestümen Raufbolde schon. Aziz (bisweilen gaben die christlichen Aramäer ihren Kindern arabische oder kurdische Namen, aus Furcht vor den Machthabern) drehte sich um und schaute auf das Tal westlich des Tur d'Schahin hinab. Dort war der Schuss nicht gefallen. Sie standen mitten auf dem Hang des Gebirges auf der nördlichen Seite des Dorfes Badibe, etwa 100 Meter von der Mutter-Gottes-Kirche entfernt. Johannes zeigte mit dem Zeigefinger seiner linken Hand nach Süden. Sie machten einige Schritte nach vorne und konnten nun auf das Tal nördlich des Dorfes schauen. Johannes war für sein Alter recht hoch gewachsen. Seine überdimensional großen Augen bescherten ihm die Gabe, so gut wie der beste Feldstecher, welchen man für Geld im Osmanischen Reich kaufen konnte, sehen zu können. Der stets schüchtern drein blickende Aziz konnte nicht viel erkennen. Er sah drei Männer auf ihren Rössern, und vor diesen Männern stand nicht viele Schritte entfernt ein Kind, es rührte sich nicht, war erstarrt wie Eis. Nein, das war kein Kind.
    „Das ist Matthai.“
    „ Was macht Onkel Matthias dort? Und was wollen diese drei Männer von ihm?“
    „ Ich glaube, einer von ihnen wollte ihn erschießen.“
    „ Was? Los, komm, wir müssen ihm zur Hilfe eilen!“
    „ Warte!“
    „ Was hast du vor?“
    Der Sohn des Bürgermeisters von Badibe richtete sein Gewehr auf. Aziz trat ängstlich zur Seite. „Was hast du vor?“
    „Ich puste ihm den Kopf weg.“
    „ Bist du verrückt geworden? Du wirst ihn damit töten.“
    „ Nerve mich nicht mit deinem Messdiener-Kram!“
    Johannes zielte mit dem Gewehr, kniff sein linkes Auge zu. Aziz hielt sich die Ohren zu. Doch der mutige Junge senkte den Lauf.
    „Was ist?“
    „ Da ist jemand auf der anderen Seite. Ich glaube, er will ihn erschießen.“
    „ Denke doch vorher nach, bevor du einen großen Fehler begehst! Du weißt doch nicht mal, wer dieser Mann ist.“
    „ Natürlich weiß ich es, es ist der Wesir des Agha Bilad.“
    „ Um Gottes Willen, was macht er denn hier?“
    „ Ich glaube, er wollte zu meinem Vater.“
    „ Du kannst ihn nicht einfach so erschießen. Du wirst uns alle in große Schwierigkeiten bringen.“
    „ Sei still!“
    Der Tollkühne zielte wieder mit der Waffe auf den Mann unten im Tal.
    „Was siehst du?“
    „ Er hat seine Waffe fallen lassen.“
    „ Dann ist alles in Ordnung. Lass uns schnell wieder nach Hause, bevor der Wesir bei euch ist.“
    Aziz warf sich bei dem gewaltigen Knall der Waffe zu Boden. Johannes duckte sich und hielt sich gedeckt hinter einem der Sträucher. „Los, schnell weg!“
     
    Die beiden Türken sprangen von ihren Pferden herab. Aus welcher Richtung der Schuss gekommen war, konnten sie nicht mit Sicherheit erraten. Muhammad lag verwundet am Boden. Sein Ross trabte davon. Er regte sich noch. „Verfluchte Christen!“
    Er holte den Revolver, eine Pistole 08 Parabellum (Luger), aus der Innenseite seines Gewandes hervor und feuerte einen
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