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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord
Autoren: Daniel Imran
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freizügig gekleideter Muslim, atmete erleichtert aus. „Jetzt können wir nur noch abwarten und hoffen, dass er möglichst bald aufwacht. Bitte wechselt das nasse Tuch jede Stunde.“
    „Meine Frau wird sich um ihn kümmern.“
    „ Was ist eigentlich vorgefallen?“
    Der Priester seufzte. Er stand mitten im Eingang dieses Nebenraumes in seinem Haus. Die Häuser dieser Dörfer hatten flache Dächer und waren aus mit Kalkzement-Mörtel gemauerten Steinbrocken angefertigt. Die Räume waren klein, zumal die hiesigen Menschen in den heißen Nächten des Jahres lieber draußen auf dem Dach ihres Hauses schliefen. Acht Monate des Jahres war es nachts angenehm warm.
    „Der Wesir hatte einen Begleiter bei sich, einen Türken. Ich sprach mit ihm. Er erzählte mir, der Wesir hätte einem kleinen Mann das Leben gerettet, der beinah von einer Schlange gebissen worden sei.“
    „ Ein kleiner Mann?“
    „ Ein Kleinwüchsiger, ja, das ist Matthias, der Sohn der Maria und des Isa. Sie wohnen in dem Haus auf der südwestlichen Seite. Nicht weit von hier.“
    Der Arzt putzte mit einem Lappen sein Skalpell und legte es in seinen Koffer.
    Der Abuna erzählte weiter vom Bericht des Türken.
    „ Wenn der Junge seine Waffe fallen gelassen hatte, kann er unmöglich den Schuss auf den Wesir abgefeuert haben“, meinte Raschid.
    „ Das ist sicher. Es muss irgendjemand Anderes gewesen sein. Oder der Mann hat mir nicht die Wahrheit erzählt.“
    „ Wo ist der Mann?“
    „ Er ist inzwischen aufgebrochen. Er sagte, er müsse wieder zurück nach Dijabakir. Ich bin mir nicht sicher, was er mit dem Wesir hier zu suchen hatte. Er behauptete, er sei im Auftrag des Statthalters von Dijabakir gekommen. Warum auch immer. Alles scheint suspekt zu sein.“
    „ Ja, Ihr habt recht. Wenn jedoch diese Geschichte stimmen sollte, dann müsst Ihr den Schützen finden. Ihr müsst ihn den Beamten übergeben.“
    „ Gabriel ist tot. Wir haben schon einen hohen Preis dafür gezahlt. Aber, ja, ich weiß, wenn wir den Übeltäter nicht schnellstmöglich fassen, wird der Fürst uns den Garaus machen. Ich wage es nicht, es auszusprechen, was uns dann widerfahren würde.“
    „ Euer Volk hat schon zu viel durchgemacht, Abuna. Diese Männer haben keine Skrupel. Sie geben vor, im Namen Allahs zu handeln, doch handeln sie in Wahrheit nur in ihrem eigenen persönlichen Interesse.“
    Abdullah hielt inne, er bemerkte, wie bleich das Gesicht des Pfarrers wurde. Der Abuna starrte wie gebannt auf das Bett, in dem der Wesir eingehüllt mit mehreren weißen Decken lag. Der Arzt sah es nun ebenfalls.
    Der Zeigefinger der rechten Hand des Wesirs rührte sich. Sein Mund öffnete sich. 
     
    Aziz war in sich zerrissen. An sich verband ihn nichts mit dem verrückten Johannes. Jedoch hatte er sich an jenem Verbrechen mitschuldig gemacht. Oder etwa nicht?
    Er saß allein in der Küche seines Elternhauses. Auf dem Boden. Gabriel, sein Onkel war getötet worden, das alles war geschehen, weil er nichts unternommen hatte. Zwar fürchtete er sich vor der Rache des Johannes, jedoch war er nun entschlossen, sein Geständnis abzugeben. Er überlegte, wem er es zuerst sagen sollte.
    Zuerst trat sein Vater Isa ein, ein pflichtbewusster, arbeitsamer Mensch. Er schwieg. Später kam seine Mutter Marjam, sie fragte ihn, ob ihn etwas bedrücke. Er schwieg. Seinen beiden älteren Brüdern erzählte er ebenfalls nichts.
    Da trat plötzlich spät am Nachmittag Johannes ein. Hier im Zwielicht dieses Raumes wirkten seine großen Augen unheimlich. Aziz jedoch war wie verwandelt.
    „Du steckst da mit drin genau so wie ich. Du wirst den Mund halten! Wir können niemand trauen. Ein Glück, sie glauben, es sei der Wesir gewesen.“
    „ Der Wesir ist nicht tot.“
    „ Er muss sterben. Vielleicht hat er gesehen, dass die Kugel aus unserer Richtung gekommen ist.“
    „ Bist du verrückt? Wenn wir diesen Mann umbringen, wird eine ganze Armee über unser Dorf herfallen.“
    Johannes ballte seine rechte Hand zur Faust und schlug damit gegen die Innenfläche seiner anderen Hand. Er fluchte laut.
    „Wir müssen uns stellen. Nur so können wir ein großes Unheil abwenden“, fuhr Aziz fort.
    „ Das werden wir nicht tun ...“
    Die beiden jungen Männer vernahmen einen lauten Ruf von draußen. „Johannes!“, rief eine Frauenstimme.
    „Das ist deine Mutter.“
    „ Dein Vater ist vor zwei Stunden wieder zurück aus der Charabale.“
    Johannes zuckte zusammen, am liebsten wollte er sich verstecken.
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