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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord
Autoren: Daniel Imran
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du eigentlich?“
    „ Meridschan.“
     
     
     
     
     
     

 
    Abuna Isa
     
     
    Er erhob sich wie ein schwer verwundeter Soldat nach einer blutigen Schlacht. Leises Stöhnen gab er von sich. „Ich wäre beinahe gestorben.“
    „ Ihr werdet wieder genesen. Alle Eure Organe sind von der Kugel nicht getroffen worden. In nur wenigen Wochen werdet Ihr kerngesund wie zuvor sein.“
    „ Was ist mit dem kleinen Bastard, der mich abknallen wollte?“
    Abdullah wandte sich verächtlich vom Wesir ab. Der Abuna seufzte unauffällig, ließ sich wie ein vortrefflicher Schauspieler seine Abscheu dem kurdischen Offizier gegenüber nicht anmerken. „Ihr meint wohl Gabriel. Er ist gestorben.“
    Der Wesir zeigte keine Körperregung, für einen Moment lang lag er wie eine ägyptische Mumie dort auf dem Bett des Abuna.
    „ Ruht Euch aus, Kommandant. Mein Haus ist Euer Haus. Wenn Ihr etwas wünscht, dann braucht Ihr es nur zu sagen, meine Frau wird sich darum kümmern.“
    „ Wo sind meine beiden Begleiter?“
    „ Sie sind beide fort. Wo der eine der beiden hingeritten ist, wissen wir nicht. Der andere sagte mir, er würde nach Dijabakir reiten. Mehr hat er mir nicht gesagt.“
    Die Mumie erwachte aus ihrem Grab und wurde lebendig. Der Wesir setzte sich aufrecht, er streckte seine Arme und gähnte. „Ich muss sofort aufbrechen.“
    „Ihr könnt nicht in diesem Zustand reiten.“
    „ Warum sprichst du auf Aramäisch zu mir?“
    Der Arzt aus Kafro war überrascht.
    Muhammad Ali ignorierte Abdullah, sprang auf, taumelte, nahm seine Kleidung vom Boden neben dem Bett und zog sie sich über. Der Priester senkte sein Haupt.
    Der Wesir schritt zur Tür wie ein stolzer König auf seinem Triumphzug durch seine Hauptstadt. Am Ausgang blieb er stehen. „Die Kugel kam von Osten, von der Anhöhe neben dem Dorf.“
    Er verschwand hinter der Tür. Der Arzt und der Priester schauten sich entsetzt gegenseitig an. Sie hörten nur noch ein Wiehern eines Pferdes von draußen.
    Der Arzt setzte sich auf den Boden hin, neben seine Tasche. Der Priester stand immer noch am Eingangsbogen des Raumes und beobachtete Abdullah schweigend.
    „Habt Ihr schon gehört, was in Europa geschehen ist, Hochwürden?“
    Der Abuna starrte den jungen Mann nichts sagend an, angespannt wie ein auf sein Urteil wartender Angeklagter.
    „Der Thronfolger des Kaisers von Österreich-Ungarn wurde von einem serbischen Rebellen auf offener Straße erschossen.“
    Der Priester entspannte sich. „Glaubt Ihr, er wird wiederkommen, um den Mann zu finden, der auf ihn geschossen hat?“
    Der Arzt hob seine linke Hand wie ein genervtes Kind. „Hört mich erst an, Hochwürden.“
    Der Priester nickte.
    „Österreich erklärte Serbien den Krieg. Die Deutschen stehen auf Seiten der Österreicher. Russland hat Deutschland den Krieg erklärt, da es sich als Schutzherr Serbiens sieht.“
    „ Was hat all das mit uns zu tun?“
    „ Wisst Ihr nicht, Hochwürden, dass das Deutsche Reich mit dem Osmanischen Reich verbündet ist?“
    „ Ja, das haben wir erfahren. Ihr meint also, wir befinden uns im Krieg.“
    „ Europa ist im Krieg. Er hat sich noch nicht auf dieses Gebiet ausgebreitet. Es ist aber nur eine Frage der Zeit. Glaubt mir, Vater, ich bin vor einigen Wochen in Stambul gewesen, der Sultan ist nur noch eine Marionette der neuen Machthaber, der Jungtürken. Sie sind noch viel schlimmer als alle Sultane zuvor.“
    „ Noch schlimmer als Abdulhamid II.? Gott helfe uns!“
    Abuna Isa war einer der wenigen Überlebenden der großen Massaker von 1895. Tapfer verteidigte er sich an der Seite seiner Brüder gegen die Schergen des Sultans. Schließlich zogen die osmanischen Söldner ab. Badibe hatte nur wenige Tote zu beklagen, unter ihnen war Abuna Isas einziger Bruder. Seine Eltern starben in den darauffolgenden Jahren und er hatte keine Verwandten mehr. Zwar dankte er Gott, die Massaker überlebt zu haben und sah seine aktive Mitwirkung bei der Verteidigung des Dorfes als unausweichliche Notwendigkeit an, an der er sich auch heute noch beteiligen würde. Aber er hatte Menschen getötet, auch wenn es Selbstverteidigung gewesen war. So entschied sich der Viehzüchter, Geistlicher zu werden. Da er bereits verheiratet war, durfte er nicht Mönch werden und übernahm das Amt des früheren Dorfpfarrers von Badibe, Abuna Juhanun Ablahad, nach dessen Tod.
    „Es waren zwei Türken mit ihm hierher gekommen.“
    „ Ja, Abuna, Ihr versteht, was ich meine.“
    „ Gott helfe uns, was
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