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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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Stellen noch feucht. Hastig wischte er sie mit den Papiertüchern trocken, wobei er sich hektisch umblickte.
    Das Fenster zum Hang war gekippt. Er musste es als Notausgang nehmen. Mit drei Schritten war er dort und stemmte sich gegen den Holm mit dem Fenstergriff. Verflucht, wann war es zuletzt bewegt worden? Nur mit großem Kraftaufwand überbrückte er einen plötzlich auftretenden Widerstand, der ruckartig nachgab. Dass dabei das Fenster an den Rahmen schlug, konnte er nicht mehr verhindern. Aus dem Fensteranschlag schoss ihm eine schleimige Flüssigkeit entgegen, der er nicht mehr ausweichen konnte. Hose, Jacke, Kacheln und sogar der Toilettendeckel waren bespritzt. Entsetzt starrte er auf das Sekret, dessen Farbe er bei dem schwachen Licht nicht erkennen konnte. Voller Panik riss er einen Meter Toilettenpapier von der Rolle und säuberte halbwegs den Deckel. Gleichzeitig horchte er nach unten. Die Geräusche waren verstummt.
    Aber wenn jetzt jemand käme, würde er es nicht hören, schoss ihm durch den Kopf. Der Teppich würde Schritte verschlucken. Instinktiv steckte er das benutzte Papier in die Jackentasche, sprang in die Duschwanne und zog den Vorhang noch ein Stück vor. Er hatte gerade seine Kopflampe ausgeschaltet, als das Licht anging.
    Dem kurzen Brummton nach zu urteilen, war es eindeutig ein Mann, der das Badezimmer betrat. Er nahm die Zange aus der Tasche und hielt sie griffbereit. Einen Moment lang passierte gar nichts. Dann zwei Schritte, das Fenster wurde in Kippstellung gebracht, wieder Stille und dann ein Geräusch, als ob ein Kamm durch sehr dichtes Kopfhaar gezogen würde. Hatte der Priester nicht eher eine fortgeschrittene Glatze? Wenige Sekunden später fiel die Tür ins Schloss, und es wurde wieder dunkel. Langsam senkte er den Arm mit der Rohrzange.
    Der zweite Versuch, das Fenster zu öffnen, verlief geräuschlos, aber der Ausblick war ernüchternd. Ein Gitter über dem Lichtschacht war fachmännisch gesichert, der Fluchtweg versperrt. Die Schlösser hätte er noch knacken können, aber was ausweglos schien, waren die schweren Blumenkübel auf dem Gitter. Sein Blick fiel auf den Fensterrahmen. Von dort hatte es gespritzt. Er leuchtete einen grünschwarzen Klumpen an, der vorne an den Rahmen gepresst war und mit dem anderen Ende in der Luft hing. Das Ende hatte zwei Beine, die alle zwei Sekunden wie auf Kommando zuckten.
    Die Reste der Kröte mussten entfernt werden, sonst würde man viel zu schnell auf einen Einbruch schließen. Dummerweise hatte er nur ein einziges Paar Latexhandschuhe mit, was er jetzt schon bereute. Ein Spritzer des Sekrets auf den Handschuhen, und er würde das ganze Haus kontaminieren. Kurz entschlossen zog er sich einen Handschuh aus, um die Kröte mit Papier aufzunehmen. Als er zufasste, glitschte der noch ansehnliche Teil des Tieres aus seiner Hand und plumpste direkt in den Wasserablauf des Lichtschachtes. Nervös versetzte er das Fenster wieder in seinen Ausgangszustand, leuchtete den Rahmen auf weitere Spritzer ab und verließ das Bad. In der Küche rauschte Wasser.
    Die Plastiküberzieher schienen jetzt lauter zu rascheln als vorhin, als er über die Treppe hinunter zur Haustür schlich. Er hörte noch, wie eine Schranktür ging und Gegenstände abgestellt wurden, als er die Haustür geräuschlos öffnete. Im Freien blieb er erst einmal stehen und musste tief durchatmen, bevor er die Überzieher abstreifte und leise davonschlich.

| 6 |
    Der November zeigte sich von seiner klassischen Seite, mit einem Sturmtief nach dem anderen. Nach dem warmen Oktober wurde jeder wieder in die brutale Wirklichkeit der Jahreszeiten zurückgeholt.
    Gut, dass wir diesmal im Oktober auf Exkursion waren, dachte Allenstein. Er stand am Fenster seines Büros und schaute gedankenverloren auf die Regenschauer, die zwischen den Universitätsgebäuden hindurch auf die hastenden Studenten peitschten. Unbewusst fasste er sich an die linke Brust. Die peinliche Situation in der Kiesgrube verursachte ihm von Zeit zu Zeit immer noch ein klammes Gefühl. Sicher, nach außen hin hatte er die Sache locker überspielt. Aber diese Nacht war er schon zum dritten Mal panisch aus einem Alptraum aufgewacht. Es war immer der gleiche Traum. Er rutschte in ein Loch, wurde verschüttet und drohte zu ersticken. Und gleichzeitig vermengten sich damit die Bilder von Helga, wie sie unter ihm am Seil hing, erschlagen von einem Stein, der so groß war, dass kein Helm sie schützen konnte.
    »Ich habe gerade
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