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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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gekommen. Das Wetter war gut und bis zur Fachgruppensitzung hatte er genügend Zeit, die Stelle zu suchen und Proben zu nehmen, um sie in den nächsten Tagen analysieren zu lassen.
    Er parkte in Rhöndorf am Rand eines Weinbergs, gleich nach der Abfahrt von der Schnellstraße, direkt am Fuß des Drachenfels. Dann machte er sich auf den Weg nach oben. Zwischendurch ging ihm bei den über einhundert Stufen, die steil hinaufführten, die Puste aus. Auf der Hälfte des Weges musste er stehen bleiben, weil er Seitenstechen bekam. Keuchend beugte er sich vornüber und stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab. Er sollte wahrscheinlich besser den sanfteren Aufstieg wählen, dachte er und wandte sich zu dem Weg, der nach Osten durch einen Weinberg und dann über die Forstwege in Richtung Wolkenburg verlief.
    Zwei Stunden lang suchte er das Gelände nach Hinweisen auf die alten Steinbruchtätigkeiten ab. Beim Anblick eines frisch geschobenen Forstwegs hätte er beinahe laut aufgejubelt. Unter einer freigelegten Schuttdecke, die verdächtig nach Abraum aus einem Steinbruch aussah, stand unverwittertes vulkanisches Gestein an, das ihm sehr vertraut vorkam.
    Eine halbe Stunde lang hämmerte Allenstein auf den Meißel ein, bis er sich schließlich mit einem großen Stück Gestein zufriedengab. Zum Mitnehmen war es eigentlich zu schwer. Um weiter bergauf steigen zu können, hätte er mindestens die Hälfte liegen lassen müssen. Aber sein Auto stand ja nur 200 Meter tiefer. Also wickelte er seinen Fund in Zeitungspapier ein, das er mitgebracht hatte, beschriftete einen Zettel mit den Daten der Fundstelle und verstaute alles in einer Probentüte, die gerade noch Platz im Rucksack fand.
    Die Sonne hatte bis zum Nachmittag durchgehalten. Sie verbreitete eine spätherbstliche Stimmung, die den drohenden, nasskalten November in weite Ferne zu rücken schien. Allenstein blickte auf die Uhr und blinzelte gegen die tiefstehenden Strahlen zur Kuppe des Drachenfels. Kurz entschlossen änderte er die Richtung und steuerte auf den Gipfel zu. Für dieses Jahr war das sicher die letzte Gelegenheit. Nach den ersten Höhenmetern jedoch zögerte er. Mit diesem Gepäck würde er nicht weit kommen. Der Stein war zu schwer. Rasch blickte er sich um, um sich zu vergewissern, dass er alleine auf dem Weg war, dann stieg er zügig die Böschung an einer kleinen Steilkante hinunter und versteckte den eingetüteten Klotz unter einem Laubhaufen. Er prägte sich die Stelle ein und marschierte erleichtert dem Gipfel entgegen.
    Zahlreiche Touristen hatten anscheinend die gleiche Idee gehabt wie er, aber sie störten ihn nicht. Der Ausblick von oben war grandios. Allenstein wartete, bis der glatte Fels an der Mauer direkt an der Steilkante zum Rhein frei wurde, dann setzte er sich auf den vorgewärmten Platz, legte den Kopf zurück an die Mauer und schloss die Augen, um die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres zu genießen. Er dachte an Helga. Beinahe wäre er eingenickt.
    »Sieh mal, das ist doch der Prof aus der Zeitung!« Die spöttische Stimme einer jungen Frau, die ihren Freund rief, schreckte ihn auf. Allenstein sprang auf und flüchtete. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! War er jetzt schon so eine Art Lokalberühmtheit geworden oder was?
    Ein wenig missmutig, weil seine Erholungspause auf der Ruine so jäh zu Ende gegangen war, stapfte er zu seinem Versteck unterhalb des Forstwegs zurück. Er hatte sich die Stelle gut eingeprägt und war nur noch einen Schritt weit davon entfernt, als es passierte. Er rutschte auf hangabwärts gerichteten Stöcken unter dem Laub aus. Das rechte Bein flog nach oben, die Luft blieb ihm weg, und dann durchschoss ihn ein stechender Schmerz, als er hart auf dem Steiß aufprallte. Einen Augenblick lang bildete er sich ein, den Knochen knacken zu hören. Sein Fuß stieß an die Tüte unter dem Laub, die sich umgehend in Bewegung setzte und erst etliche Meter tiefer an einem Baum, direkt an der Felswand, zum Stillstand kam.
    Fluchend und mit schmerzverzerrtem Gesicht rutschte Allenstein hinterher. Endlich hatte er die wertvolle Gesteinsprobe erreicht und packte sie wütend in seinen Rucksack. Es war noch nicht allzu lange her, seit er an dieser Stelle des Drachenfels gestanden hatte. Allerdings war er da von unten an der Felswand entlang nach oben gestiegen. Prüfend musterte er die Gesteinswand, in der zahlreiche, mehrere Zentimeter große weißliche Minerale zu erkennen waren, ganz typisch für den
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