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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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ein Paket für Sie angenommen.« Anja, seine neue Assistentin, riss ihn aus seinen Gedanken. Sie kam in den Arbeitsraum und überreichte ihm ein Paket in der Größe eines Schuhkartons. Es war ungewöhnlich schwer.
    »Danke. Ist Frau Hörnig denn nicht da?«
    »Wird wohl in der Verwaltung sein«, erwiderte Anja vage und wollte wieder verschwinden.
    »Moment noch.« Allenstein war froh, auf andere Gedanken zu kommen. »Kam das mit der Post oder durch Boten? Hier ist gar kein Absender zu finden.«
    »Keine Ahnung. Es ist in der Mineralogie abgegeben worden. Bin gleich zurück.«
    Im Karton lag ein mehrfach mit Packpapier umwickeltes Objekt, das schwer war wie ein Stein.
    Bestimmt die Probe aus dem Westerwald, dachte Allenstein. Auf einer der letzten Exkursionen hatte er einen Studenten gebeten, ihm einen größeren Brocken mitzunehmen.
    Als er das Papier abwickelte, stand Anja wieder in der Tür.
    »Ich brauche den Schlüssel für den Giftschrank im Labor, ich will noch einen Versuch ansetzen.«
    »Hängt im Kasten.«
    »Und, was ist es Gewichtiges?« Anja schaute neugierig beim Abwickeln zu. Auf das letzte Stück Packpapier folgte ein Fetzen eines lilafarbenen weichen Tuches, als sollte der Stein noch einmal besonders geschützt werden. Ein Brief oder ein Zettel war nicht dabei.
    Allenstein nahm den schwarzen, bearbeiteten Stein heraus und hielt ihn seiner Assistentin hin. »Hier, erkennen Sie, worum es sich handelt?«
    »Basalt, vermute ich.«
    »Richtig vermutet, zu erkennen am Olivin als typisches Mineral, außerdem sieht man zahlreiche Poren.«
    »Das waren Gase, die darin enthalten waren, als die Schmelze fest wurde.«
    »Genau, aber das Ganze ist Teil eines Werkstücks, was man unschwer an der gesägten Kante und an den Resten einer Figur erkennen kann.«
    Allenstein rückte dichter an Anja heran und deutete auf die betreffenden Stellen. Als sie sich über das Werkstück beugte, war ihr Kopf so nahe, dass er sich nicht beherrschen konnte und vorsichtig an ihrer Haarfülle schnupperte.
    Die Haare rochen frisch, ein bisschen nach Zitrone, aber auch nach Mandeln. Unwillkürlich musste er wieder an Helga denken.
    Anja betrachtete den Stein eingehend und meinte dann: »Sieht aus wie zwei untere Beinhälften, die übereinander liegen. Wo kommt so etwas her?«
    »Es könnte von einem Wegkreuz oder etwas Ähnlichem stammen. Vermutlich erhalte ich heute noch einen Anruf oder eine Mail von jemandem, der wissen möchte, wo der Steinbruch dazu liegen könnte. Ein Brief oder so ist ja nicht dabei.«
    Mit einem letzten Blick auf den Stein schnappte Anja sich den Schlüssel und verließ den Raum. Allenstein schaute ihr hinterher, bis sie um die Ecke verschwunden war. Noch immer hing ihm der Duft ihrer Haare in der Nase. Obwohl sie natürlich viel jünger war, hatte sie viel von Helga, seiner letzten Lebensgefährtin.
    Verrückt, dass man als Mann so stark auf ein paar Reize programmiert ist, dachte er und verzog verärgert das Gesicht. Manchmal entscheiden wirklich Millimeter an der richtigen Stelle, ob der Daumen nach oben oder nach unten geht.
    Aber gleichzeitig hatte diese Programmierung natürlich auch angenehme Folgen. Evolutiv macht es Sinn, redete er sich ein. Eigentlich jedoch war sein Verhältnis zu ihr schon viel zu vertraulich. Er erinnerte sich an letzte Woche, als er sie beinahe völlig gedankenverloren in den Arm genommen hatte, so wie früher Helga. Das wäre in der Arbeitsgruppe sicher nicht gut angekommen.
    Anja war eine von vierundzwanzig Bewerbern, die sich auf die Stellenausschreibung gemeldet hatten. Zwei Drittel waren männlich, aber wenn die Herren nicht überragende Fachkenntnisse und international anerkannte Veröffentlichungen vorlegen konnten, fielen sie gleich unten durch. Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität machte inzwischen Druck. Es sollten bevorzugt Frauen eingestellt werden. Allenstein hatte keine Probleme damit. Im Gegenteil, die Hochschulen waren so, wie sie waren, weil es seiner Überzeugung nach immer noch zu wenige Frauen in dieser Laufbahn gab. Ein gesundes Geschlechterverhältnis konnte nur hilfreich sein. Jetzt jedoch hatte er eine besondere Situation, weil er mit einigen Projekten zeitlich im Verzug war. Deshalb hoffte er insgeheim darauf, dass sich genügend qualifizierte Frauen bewerben würden. Das ersparte einen gewaltigen Verwaltungsaufwand. Wenn sich nämlich keine geeignete Bewerberin finden würde, wäre eine Neuausschreibung fällig, mit einem mehrwöchigen
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