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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
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WAS WEISS DER RICHTER VON DER LIEBE?
    Was weiß der Richter von der Liebe? Wir ahnen es nicht. Wir ahnen, dass sie ihm ein Sumpf ist, ein endloses Feuchtgebiet, über dem zu kreisen er verurteilt ist, in dem er sich von Päuschen zu Päuschen rettet, so wie ein schwarzglänzender, feingliedriger Vogel den Morast miede, jederzeit sich hinüberrettete auf den nächsten schwingenden Ast, von dem aus sich alles bedenken ließe: diese Welt aus Morast, unter deren glänzende, klamme Oberfläche man nur im Bedarfsfall einzutauchen gedenkt, um ihren Bewohnern zu begegnen; fremdartigen Wesen, die dann und wann ins Zwielicht des oberen Wassers emporgedümpelt kommen, und die zu Prüfungszwecken entnommen werden müssen: ob sie was taugen. Wir ahnen, dass der Richtervogel noch andere Plätze kennt, gastlichere Wohngebiete, zu denen er am Ende des langen Tages entschwindet, wenn die Sonne hier rot in den Sumpf plumpst. Dann spreitet er seine Schwingen und fliegt auf, tief unter ihm fallen die Weiten des Sumpfgebiets in eine Aktenablage des Universums, während er vorstößt in frischere Lüfte, hin sich sucht zu einem Ort der Versammlung und des Austauschs, wo sie zusammenstaksen, die Schwarzgefieder, palavern und lachen, wo Streichquartette erklingen, deren Echo der Richter immer und überall im Herzen vernimmt …
    Herrn Kubasch quoll das Handy über. Das waren so viele SMS, er hat sie auslagern müssen auf den PC. Rund und stumpf und mauseäugig sitzt er da. »Schwule Sau«, erklärt er dem Richter,»Penner, Arschloch«. Solche Sachen hätten in den SMS gestanden, sagt Herr Kubasch, »also sinngemäß«. Da geht es schon zur Sache, wenn eine Ehe in die Brüche geht, da haben sich beide Seiten gleich viel vorzuwerfen, aktenkundig ist aber nur die etwas kryptische Kurzbotschaft vom 16. Oktober 2001, als Herr Kubasch Frau Kubasch mitteilte: »Für das, was du tust, bist du ein Stück Scheiße.« Anklagepunkt Nummer eins.
    Anklagepunkt Nummer zwei: als Herrn Kubasch die Sicherung durchbrannte. Da ging er auf Herrn Röschen los, auf offener Straße, los auf diesen kleinen, zahnproblematischen Menschen mit Schnäuzer, Langhaar und Knarzstimme. Im Mai 2002 war das, als Herr Kubasch den dürren, verhassten Herrn Röschen auf der Straße sah, als neuen Partner von Frau Kubasch, und als der ihn ankläffte, also sinngemäß: »Hau ab, du Arschloch, du wirst deine Kinder eh nicht mehr wiedersehen, das ist jetzt meine Familie!« Da tobte eine Aufwallung durch Herrn Kubaschs gut gedämmte Seele, und so ist er losgestampft auf diesen wohlbekannten kleinen Körper, hat ihn wohl auch irgendwie geschubst, aber nicht mal richtig umgefallen ist der. Dann stieg Herr Kubasch in sein Auto und fuhr weg.
    Aber darum geht es ja gar nicht, geht gar nicht um den Hass und die Wut. Es geht um Punkt drei der Anklage: Hat Herr Kubasch oder hat er nicht – den Röschen aus dem Gefängnis befreit? Herr Kubasch fragt: Warum sollte ich den da rausholen? Der Röschen war doch sowieso Freigänger. Gut, eine Personenbeschreibung durch Tatzeugen passt auf ihn, aber er sei nun mal dick, er stehe dazu, dick sei doch jeder Zweite …
    Weit ist der Sumpf, viel zu weit: Wenigstens dort, wo der Staatsanwalt sitzt, könnte ja eine Trockenlegung erfolgen; dort wenigstens könnte ein wenig fester Boden in diese schwankende, platschende Welt gebracht werden; dort wenigstens könnten gut festgeklopfte Fakten ein wenig Trittsicherheit geben, aber nein: Auch aus den Ermittlungsakten suppt wieder nur der Schluder heraus, und alle paar Minuten bleibt einem nichts als der konsternierte Blick zum Staatsanwalt, den man aber nicht ständig wieder rüffeln möchte, zumal seine geistige Anwesenheit nicht sichergestellt erscheint; so verloren mustert er die Decke und geht wohl im Geiste sein Plädoyer durch oder das für den nächsten Fall oder sonst wohl auch die Tageskarte im Bistro um die Ecke. Sumpf, wohin man schaut – immer wieder runzelt die Fassungslosigkeit des Richters jugendliche Stirn, geht es doch hier um Rechtsprechung!, und wird doch ringsumher: der Tag abgesessen.
    Im Anwalt des Herrn Kubasch immerhin findet sich noch ein Funken Motivation: Er mag gern Presseleute. Und damit er was zum Anbieten hat, bringt er denen seinen Mandanten mit: Herr Kubasch wird im tristen Vorraum vor die Pressedamen hingewälzt; die machen links Termine und checken rechts ihr Handy, während sie mit gezielten Nachfragen und erstauntem Kopfnicken den stockenden Redeausfluss des Beklagten am
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