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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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Zeitverzug, erneuten Bewerbungsgesprächen und so weiter. Und wenn es ganz schlimm kam und sich auch beim zweiten Durchgang keine geeignete Frau bewarb, musste doch auf einen männlichen Bewerber zurückgegriffen werden. Allerdings konnte man dann sicher sein, dass der Beste aus der ersten Runde bereits woanders eine Stellenzusage hatte. Das war ein Grund, warum diese Regelung bei seinen Kollegen und selbst bei den Kolleginnen sehr unbeliebt war. Aber Allenstein hatte Glück. Die beste Bewerbung kam von Anja Gutte. Er sah sie, und sie siegte. Vielleicht lag es ja auch daran, dass sie ihm gefiel und er sich noch Chancen ausrechnete. Wenn er ehrlich war, sogar gleich im ersten Moment. Als Professor hatte er es bei Frauen insgesamt recht leicht, nicht nur des Titels wegen. Es lag wohl an seiner Art, am selbstsicheren Auftreten und, so meinte er, auch am Aussehen. Selbst bei einigen Studentinnen testete er seinen Marktwert, allerdings meist ohne tiefere Absichten, einfach nur, um zu sehen, ob er noch dazugehörte. Er hatte gerade die Fünfzig überschritten, wirkte aber deutlich jünger, war groß und durchtrainiert und wusste, mit welcher Art von Charme er bei welcher Dame ankam.
    Seiner Ehe hatte dieses Verhalten nicht gut getan, und sie war schon frühzeitig auf eine Katastrophe hinausgelaufen. Vielleicht lag es ja daran, dass er nach der Promotion auf eine Assistentenstelle nach Aachen wechselte und sich dort auch eine kleine Wohnung nahm, während seine Frau mit Katy weiter im Haus der Schwiegereltern wohnte. Sie hatte seine meist harmlosen Flirts nicht richtig einordnen können, und schließlich hatten sie sich getrennt. Das Schönste und Wichtigste an ihrer Ehe war für ihn, dass daraus Katy, seine Tochter, hervorgegangen war. Er hing sehr an ihr, zumal sie unbeirrt immer zu ihm gehalten hatte. Aber die ewigen Streitereien und erbitterten Auseinandersetzungen zwischen ihm und ihrer Mutter hatten für alle Beteiligten gewaltigen Stress bedeutet, und da er wusste, dass er nicht ganz unschuldig daran gewesen war, überfielen ihn in stillen Stunden manchmal Schuldgefühle, wenn er daran dachte, was er seinem Kind alles zugemutet hatte.
    Nach der Scheidung war er nur kurze Zeit allein gewesen, und dann hatte er Helga kennengelernt. Mit ihr war alles ganz anders gewesen. Vom ersten Tag an hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, die er für unzerstörbar hielt. Sie gab seinem Leben wieder Struktur und Halt, und er malte sich ihre gemeinsame Zukunft in den schönsten Farben aus. Aber dann war sie bei einem Kletterausflug auf tragische Weise ums Leben gekommen. Nach ihrem Tod fiel er in ein unendlich tiefes Loch, aus dem er letztlich nur mit Katys Hilfe wieder herausgefunden hatte.
    Drei Jahre waren mittlerweile vergangen, drei Jahre, in denen er nicht den Mut zu einer festen Beziehung gehabt hatte. Es hatte lediglich ein paar flüchtige Affären gegeben, und so langsam wurde er unruhig.
    Er gab sich einen Ruck und ging entschlossen in das Labor mit dem Giftschrank. Anja hievte gerade einen großen Glaskolben auf einen Chemikalienschrank. Es sah ein wenig gefährlich aus, wie sie sich mit dem Glas in die Höhe reckte.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Allenstein spurtete zu ihr und griff nach dem Glaskolben. Sein rechter Ellbogen streifte ganz langsam ihre Brust, ein Augenblick, der sämtliche verfügbaren Sexualhormone in seinem Körper in Bewegung setzte. Er hätte den Arm nach dem Abstellen des Kolbens auch in einem anderen Winkel herunternehmen können, aber es ging nicht. Wie im Zwang musste er die Berührung noch einmal spüren.
    »Vielen Dank, das nächste Mal nehme ich die Leiter.« Anjas Gesicht war leicht gerötet. Während Allenstein noch überlegte, ob es von der Anstrengung kam oder ob er sich falsch benommen hatte, kam seine Sekretärin, Frau Hörnig, ins Labor.
    Sie war eine erfahrene Frau in den besten Jahren und durchschaute die Situation mit messerscharfem Blick.
    »Herr Allenstein, Telefon, es geht um ein Paket.«
    »Das ist sicher der Absender des Basalts«, sagte Allenstein ein wenig verunsichert zu Anja und eilte in sein Büro.
    Es schien Sturm in der Leitung zu herrschen. Allenstein nannte seinen Namen mehrmals, ohne dass eine Reaktion aus dem rauschenden Hörer kam. Gerade als er irritiert auflegen wollte, krächzte ihm eine Männerstimme ins Ohr: »Hören Sie: Wenn der Stein des Drachen fällt …«
    Es knackte in der Leitung, bevor Allenstein etwas erwidern konnte.
    »Schon
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