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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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eigentlich nicht zu erwarten.«
    Katy wartete, bis der Arzt das Zimmer verlassen hatte. Dann erzählte sie ihrem Vater, was ihr die Studenten berichtet hatten. Natürlich waren alle furchtbar aufgeregt gewesen. Zum Glück war ein von der Bundeswehr ausgebildeter Sanitäter bei der Studentengruppe, der die Ruhe behielt und dafür sorgte, dass der Professor ausgegraben wurde. Dann war auch schon der Notarzt da gewesen, hatte die notwendigen Untersuchungen durchgeführt und Entwarnung gegeben. Vorsorglich war er allerdings ins Krankenhaus transportiert worden, und dort schließlich hatte man gleich Katy informiert.
    »Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, sagte Katy jetzt zu ihrem Vater. »Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn du allein gewesen wärst. Du bist manchmal ganz schön leichtsinnig!«
    Jetzt war Allenstein wieder zu Hause, lag auf der Couch und starrte an die Decke. Allein in einer Doppelhaushälfte in einem Kölner Vorort, allein und krank – na ja, zumindest noch nicht wieder so ganz gesund. Und es war Samstagnachmittag, die Zeit, in der er eigentlich am meisten erledigen konnte. Zum ersten Mal keimte in ihm der Verdacht auf, dass das Leben auch richtig schwierig werden könnte. Die Probleme, die er bisher gehabt hatte, waren zu meistern gewesen. Zwar hatte er auch schwierige Zeiten erlebt – die Trennung von Christa, Katys Mutter, oder der Unfalltod von Helga zum Beispiel –, aber er war zumindest immer körperlich gesund gewesen. Was wäre denn, wenn es ihn richtig hart treffen würde? Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs? Der Gedanke behagte ihm gar nicht, und er drehte sich rasch auf die Seite, um die Musik von der CD lauter zu stellen. Katy konnte ihn doch auf Dauer nicht pflegen, und das wollte er auch gar nicht. War es sinnvoll, jetzt schon über Vorsorgemaßnahmen nachzudenken?
    Nein!, dachte er trotzig. Du siehst nur alles so düster, weil es dir noch nicht gut geht. Anfang fünfzig ist doch noch kein Alter! Da ist doch noch alles möglich!
    Und er hatte ja schließlich auch noch einiges vor. In der Forschung sowieso, und irgendwann wollte er auch noch mal eine neue Beziehung wagen. Vielleicht früh genug, um sich vor dem Alter rechtzeitig aneinander zu gewöhnen …
    Das Zuschlagen der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken. Katy kam ins Wohnzimmer, mit glühenden Wangen und voll bepackt mit Taschen.
    »Hallo, Paps. Ich habe was Schönes zum Essen eingekauft.« Eine kühle Frische wehte Hanno ins Gesicht, als sie sich über ihn beugte, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. »Es ist schlagartig kalt geworden. Ich glaube, der Winter kommt diesmal früh.«
    Lächelnd schaute Henno seiner erwachsenen Tochter nach, als sie geschäftig in die Küche eilte, um ihre Einkäufe abzuladen. Es dauerte nicht lange, und die verlockenden Düfte, die durchs Haus zogen, vertrieben seine trübe Stimmung. Und als sie später gemeinsam aßen und noch einmal über die letzten Tage sprachen, ging es ihm beinahe schon wieder richtig gut.

| 3 |
    Die letzte S-Bahn kam pünktlich. Es war 0.29 Uhr, mitten in der Nacht. Auf der von Insekten stark verschmutzten Bahnhofsuhr waren es sogar noch drei Minuten bis zur fahrplanmäßigen Ankunftszeit. Langsam löste sich ein unauffällig gekleideter Mann aus dem Zwickel zwischen Getränkeautomat und Reklametafel und musterte die einrollenden Waggons. Er trug eine Baskenmütze, die er tief über die rechte Hälfte seiner Stirn gezogen hatte. Sein linker Zeigefinger betastete unaufhörlich den Deckel der Pfefferspraydose, die er in seiner Manteltasche bereithielt. Die Bewegung erzeugte eine angenehme Reaktion in seinem Gehirn. Sie suggerierte ein gewisses Maß an Sicherheit, und das brauchte er im Moment, weil seine Konzentration anderen Dingen galt. Mit verstohlenen Blicken prüfte er die Anzahl der Mitfahrer, die neben Schichtarbeitern überwiegend aus alkoholisierten Spätheimkehrern bestand. Noch zwei Minuten bis zur Abfahrt. Nur vereinzelt kamen verspätete Fahrgäste die Bahnhofstreppe hinaufgerannt und sprangen direkt in den nächsten erreichbaren Waggon, gerade noch rechtzeitig, bevor sich die Türen mit einem penetranten Piepton schlossen. Im letzten Moment entschied er sich für den hinteren Teil des Zuges.
    Flaschen, Papier und verdrecktes Plastikgeschirr auf dem Boden zeigten deutlich, dass der Personentransport in dieser Nacht dem Ende entgegenging. Aber das interessierte den Mann mit der Baskenmütze nicht. Noch während die Bahn anfuhr,
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