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Bissige Gäste im Anflug

Bissige Gäste im Anflug

Titel: Bissige Gäste im Anflug
Autoren: Franziska Gehm
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Zurück in
Bindburg
    D aka hing kopfüber an der Metallleine, die sie durch das Zimmer gespannt hatte, das sie sich mit ihrer sieben Minuten älteren Zwillingsschwester Silvania teilte. Sie hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und schaukelte vor und zurück. Die Metallleine quietschte. Daka lutschte genüsslich an einer marinierten Schweineborste. Sie hatte sich vom Blutmarkt in ihrer unterirdischen Heimatstadt Bistrien einen Vorrat dieser köstlichen Knabbereien mitgebracht.
    »Das ist echt sushpektoi«, sagte sie. Ein Borstenkrümel fiel ihr dabei aus dem Mund.
    Sushpektoi war Vampwanisch und hieß ›komisch‹ oder ›seltsam‹.
    Silvania saß unter ihrer Schwester im Schneidersitz auf dem Bett. Auf ihrem Schoß lag ein dickes Buch. Silvania starrte auf den Schweineborstenkrümel, der mitten auf der aufgeschlagenen Buchseite gelandet war. »Was ist sushpektoi?« Dass Schweineborsten nach unten und nicht nach oben flogen, war es jedenfalls nicht. Zumindest nicht für Silvania.
    Daka schielte nach unten zu ihrer Schwester. »Dass ich das Gefühl habe, ich bin wieder zu Hause, wenn ich hier so abhänge. Wo wir doch erst vor ein paar Wochen nach Bindburg gezogen sind ...«
    »... und du damals am liebsten sofort zurück nach Bistrien wolltest.«
    Silvania und Dakaria Tepes waren vor zwölf Jahren in Bistrien zur Welt gekommen. Sie waren sehr süße Babys gewesen. Mit süßen kleinen Nasen. Mit süßen roten Popos. Und mit süßen spitzen Eckzähnen. Silvania und Dakaria waren Halbvampire. Ihrem Papa, Mihai Tepes, gefielen die süßen spitzen Eckzähne besonders. Er war ein blutechter Vampir. Ihre Mama, Elvira Tepes, mochte die süßen kleinen Nasen mehr. Sie war ein Mensch.
    Silvania und Daka Tepes hatten zwölf Jahre in Transsilvanien gelebt. Elvira Tepes 15 Jahre. Und Mihai Tepes 2676 Jahre. Vor ein paar Wochen waren sie alle nach Deutschland gezogen. Elvira Tepes freute sich sehr, endlich wieder in ihrer Heimat zu sein. Mihai Tepes freute sich, dass seine Frau sich freute. Ansonsten, fand er, hatte der Umzug wenig Erfreuliches.
    In den Herbstferien war die ganze Familie Tepes samt Helene Steinbrück, der allerbesten und allereinzigsten Freundin der Vampirschwestern, nach Transsilvanien geflogen und hatte ihre Blutsverwandtschaft in Bistrien besucht. Nachdem Mihai es seiner Frau zuliebe schon mehrere Wochen im blutarmen Deutschland ausgehalten hatte, war der Besuch bitternötig gewesen.
    Silvania schnipste den Schweineborstenkrümel vom Buch. »Siehst du, unter Menschen ist es gar nicht so fürchterlich, wie du immer dachtest.«
    Daka steckte sich die nächste marinierte Schweineborste in den Mund. Sie lutschte ein paar Sekunden daran herum. Dann zerknackte sie die Borste. »Ich weiß nicht...« Ihr Blick fiel auf das Aquarium, in dem Karlheinz gerade an der Scheibe entlangschrubbte. Karlheinz war Dakas liebstes Haustier. Er war ein Blutegel. »Vielleicht liegt es nur an Karlheinz. Wie heißt es so schön: Rodna oista gdo inima oista. Die Heimat ist dort, wo das Herz ist.«
    Silvania sah mit gerunzelter Stirn hoch zu ihrer Schwester. »Und dein Herz ist bei Karlheinz?«
    »Besser als in irgendeinem albernen, dicken Buch.«
    »Meine Bücher sind nicht albern. Darin geht es um Liebe, Sehnsucht, Treue und all solche Sachen.«
    »Sag ich doch. Albern.«
    Silvania schüttelte den Kopf. Sie leckte kurz den Zeigefinger an und blätterte die Buchseite um. Allerdings verschwammen die Buchstaben vor ihren Augen wie Straßenschilder im Nebel. Seit dem Besuch in Bistrien war sie durcheinander. Ihr Herz reagierte offenbar sehr empfindlich auf Ortswechsel und Luftveränderungen. Immer, wenn sie sich jetzt die winterhimmelgrauen Augen von ihrem Nachhilfelehrer Jacob Barton vorstellte, verfärbten sie sich nach einer Weile. Sie wurden dunkel und bekamen grasgrüne Striche, die wie Strahlen um eine schwarze Sonne funkelten. Es gab nur einen, der solche Augen hatte: Bogdan Moldovan. Silvanias Schlammkastenfreund aus Bistrien. Und immer, wenn sie sich Jacobs wirre rotblonde Haare vorstellen wollte, legten sie sich nach einem Augenblick zum Mittelscheitel, von dem nur am Hinterkopf ein hellbraunes Büschel abstand. Genau wie bei Bogdan.
    Silvania verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Bogdan war ihr Freund aus der Kindheit. Jacob ihre erste große Liebe. Eigentlich war alles klar. Es fühlte sich gerade nur sehr unklar an. Silvania schielte zu Daka und zögerte. Sollte sie ihrer Schwester von ihrem Gefühlsirrgarten
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