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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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schon lange nicht mehr wahr. Nur mit einem Ruck ließ sich die oberste Schublade herausziehen, und die schwarzen und weißen Filmdosen kullerten durcheinander. Er nahm gleich die ganze Schublade heraus, stellte sie auf den Schreibtisch und füllte zwei Löffel von dem Gemisch fremder Körperprodukte in jede Dose ein.

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    Der kleine Vorgarten, die Terrasse und der Garten von Allensteins Immobilie waren reichlich bestückt mit Gesteinen aus der ganzen Welt und allen möglichen Fundstücken aus seinen Arbeitsgebieten. Christa, seine geschiedene Frau, hatte dies nie zugelassen. »Die Terrasse ist kein Steinbruch«, hatte sie immer geschimpft, als sie in Köln noch im Haus ihrer Eltern wohnten, gleich nach der Hochzeit in viel zu jungen Jahren. Aber jetzt lebte er allein, und wenn seine Arbeitsgruppe zum Grillen kam oder größere Besuchermengen sich ankündigten, musste erst einmal Platz geschaffen werden.
    Es war Montag, der letzte Tag im Oktober und vermutlich auch der letzte Tag des Jahres, an dem man zum Frühstück noch draußen sitzen konnte. Nach einem kurzen Kälteeinbruch war es am Sonntag noch einmal warm geworden, und laut Wetterbericht sollte das schöne Wetter mindestens zwei Tage lang anhalten. Allenstein hatte sich auf der Terrasse die einzige sonnige Ecke für sein Frühstück ausgesucht. Montags hatte er keine feste Veranstaltung, und wegen des Unfalls in der Kiesgrube hatte er die Auflage bekommen, sich zu schonen und sich etwas Zeit zu nehmen. Lediglich am späten Nachmittag war eine Fachgruppensitzung angesetzt, die ihn allerdings überhaupt nicht interessierte.
    Während er seinen Kaffee trank, versuchte er die wichtigsten Schlagzeilen der großformatigen Zeitung zu überfliegen.
    Bevor er zum Lokalteil kam, ließ er die Hände sinken, biss von seinem Brötchen ab und schaute über den Zeitungsrand. Noch ganz mit anderen Gedanken beschäftigt, verfolgte er, wie der Nachbarkater mit irgendetwas im Maul über die Terrasse huschte. Kam er nicht gerade aus seiner Küche?
    »Halunke!«, rief er ihm wohlgesonnen hinterher und hob die Zeitung wieder, um sich dem Lokalteil zu widmen. Fast wäre ihm der Bissen im Hals stecken geblieben. Auf der ersten Seite war groß abgebildet, wie vier Studenten ihn aus dem Kieshaufen zogen. Die Schlagzeile lautete: »Zu viel Kies für den Prof!«
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, murmelte er verärgert und überflog hastig den Text. Leise Rachegefühle stiegen in ihm auf. Ob man wohl herausfinden konnte, wer dafür verantwortlich war? Der Kaffee schmeckte plötzlich bitter. Es war beinahe schon unheimlich, wie viel Pech er in letzter Zeit gehabt hatte, fand er. Das Leben entwickelte sich immer mehr zu einer gefährlichen Gratwanderung. Unwillkürlich fröstelte er.
    Am Nachbarzaun raschelte es. »Gratuliere, lieber Kollege. Ich wusste gar nicht, dass man dich so leicht aus dem Dreck ziehen kann.« Gerhard Böhm, sein Nachbar und Institutskollege, hielt grinsend die Zeitung hoch.
    Man hatte Allenstein gewarnt, nicht auch noch privat so dicht auf seinem Kollegen zu kleben. Brei brennt leicht an, wenn er zu dick wird. Aber das Haus war eine Gelegenheit gewesen, und bisher war eigentlich alles erträglich verlaufen. Jetzt allerdings verwünschte er die Nähe zu seinem Kollegen.
    »Du musst doch ganz still sein, du mit deinen Abenteuern. Lass uns später darüber reden.«
    »Ist denn alles wieder okay?«
    »Ja, so weit schon. Allerdings habe ich reichlich Sand verteilt, im Notarztwagen und im Krankenhaus. Wir sehen uns.«
    Hastig räumte er den Frühstückstisch ab und verschwand im Haus.
    Ich muss hier raus, dachte er. Kurz entschlossen lief er in sein Arbeitszimmer, packte seine Geländesachen zusammen, suchte die geologische Karte vom Siebengebirge, das Blatt Königswinter, aus seiner Kartensammlung und holte einen Meißel und einen schweren Hammer aus dem Werkzeugkeller. Seit langem schon suchte er eine Gelegenheit, eine Probe von einem bestimmten Gesteinstyp aus den Vulkanresten des Siebengebirges zu nehmen. Möglicherweise war er in verschiedenen historischen Gebäuden verbaut, ohne dass man Kenntnisse über die Herkunft hatte. Die geochemische Zusammensetzung dieser Bausteine war zwar schon lange bekannt, aber es fehlte der Ort, wo sie abgebaut wurden. In den uralten Berichten jedoch, die er in den kleinen lokalen Museen im Süden von Bonn aufgestöbert hatte, war immer wieder von einer Stelle östlich des Drachenfels die Rede.
    Jetzt war die Gelegenheit
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