Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Böses Tut

Wer Böses Tut

Titel: Wer Böses Tut
Autoren: Elena Forbes
Vom Netzwerk:
Prolog
     
     
     
     
    Es hätte Mitternacht sein können, so dunkel war es, doch es war sieben Uhr früh. Schneeflocken wirbelten wie Motten im orangefarbenen Licht der Straßenlaternen, verwischten die knochigen Konturen der Bäume und fielen auf die dicke Schicht, die bereits den Boden bedeckte. Das Tor zum Holland Park war gerade erst aufgeschlossen worden, und sie blieb gleich dahinter stehen, trat auf der Stelle und dehnte die Beine, während sie sich umschaute und blasse Atemwölkchen in die Luft schickte. Niemand war zu sehen, nur die frischen Spuren des Parkwächters zeugten von Leben. Sie verschwanden in Richtung seines Büros, einem schummrigen Fleck in der Ferne. Mit zusammengekniffenen Augen glaubte sie, seine kleiner werdende Gestalt zu erkennen, doch sicher war sie sich nicht.
    Offen und einladend lag der Park vor ihr. Auf der einen Seite fielen Spielfelder sanft zur Kensington High Street hin ab. Auf der anderen Seite sah man gerade noch die schwarzen Wipfel der Bäume, die den Waldrand hinter den Mauern von Holland House markierten. Die Landschaft war kaum wiederzuerkennen, alles wirkte weicher, die Formen der Natur verwaschen unter einem gleichmäßigen bläulich weißen Meer, das unter dem dunklen Himmel seltsam leuchtete. Die Verwandlung bestaunend, begann sie, langsam die lange, breite Allee entlangzulaufen, und spürte, wie der tiefe, pulvrige Schnee unter ihren Füßen knirschte. Musik aus den Kopfhörern tönte in ihren Ohren, ein Bass-Riff dröhnte, und der Song wirbelte durch ihren Kopf. Nadelstichen gleich trafen eisige Flocken ihr Gesicht, und die
Kälte drang durch Schuhe und Kleidung. Aber das machte ihr nichts aus. Beschwingt, immer noch auf den Wellen des Alkohols vom vergangenen Abend treibend, hatte sie das Gefühl, sie könne fliegen. Sie hatte die Kontrolle verloren, aber das war es wert gewesen.
    Sie lief am schmiedeeisernen Tor zu Holland House vorbei, an der gezackten Ruine gleich dahinter und schlug den Weg in den französischen Garten ein, immer darauf achtend, nicht auf die vereisten niedrigen Zäune zu treten, die die leeren Beete einrahmten. Sie erklomm die Stufen zum Nordpark und lief auf den Wald zu. Der Geruch nach gebratenem Speck wehte von der nahe gelegenen Jugendherberge herüber, und sie spürte das Nagen des Hungers. Nur noch zehn Minuten, dann hatte sie es geschafft; sie würde sich mit einem fürstlichen englischen Frühstück in einem der Cafés an der Holland Park Avenue belohnen.
    Im Wald wurde der Weg schmaler, und hoch über ihr formten die Bäume einen Tunnel. Die wenigen Lampen lagen weit verstreut und warfen ein schwaches Licht auf den Weg direkt darunter, das nur die Baumstämme und Büsche in unmittelbarer Nähe beleuchtete. Dahinter, im dichten Unterholz, war alles schwarz. Ihre Schritte wurden jetzt länger, und sie lief schneller, als es bergab ging. Ihre Lungen brannten von der eiskalten Luft, sie atmete in kurzen, beinahe schmerzhaften Zügen. Schon jetzt war sie erschöpft, jeder Schritt war eine Qual. Als sie fast unten angekommen war, stolperte sie und stürzte zu Boden. Außer Atem und nach Luft ringend, lachte sie über ihre Tollpatschigkeit und drehte sich auf den Rücken. Sie blieb liegen, schaute in den düsteren Himmel und ließ die dicken, federleichten Flocken auf ihrer Haut schmelzen. Ihre Kopfhörer waren heruntergefallen, und sie merkte, wie still es war, wie der Schnee jedes Geräusch zu ersticken schien. Außer ihren eigenen
Atemzügen hörte sie nur den fernen Ruf eines Vogels hoch über sich in den Bäumen und den gedämpften Verkehrslärm an der Peripherie des Parks.
    Nach einer kleinen Weile richtete sie sich zum Sitzen auf und bewegte die Füße, um die Waden zu dehnen und die Steifheit zu vertreiben. Sie bürstete sich die dicke Schneeschicht von den Kleidern und aus den Haaren und sammelte die Kopfhörer auf. Als sie aufstehen wollte, bemerkte sie, dass ein Schnürsenkel aufgegangen war. Sie beugte sich hinunter, um ihn zu binden, da hörte sie das scharfe Knacken eines Zweiges ganz dicht hinter sich. Dann sagte jemand leise ihren Namen.

Eins
     
     
     
     
    »Sie arbeiten bei der Mordkommission?«, fragte Sarah und zog die dunklen Augenbrauen hoch, als wäre der Gedanke völlig abwegig. »Wie ist das so? Ich meine …, womit haben Sie es zu tun, was sehen Sie da? Himmel, das muss schrecklich sein.« Sie gestikulierte unbestimmt mit den Händen in der Luft, während die Worte ohne Atempause aus ihrem Mund purzelten.
    Mark
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher