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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends
Autoren: Christa Wolf
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brennend.
    Er hat es sich gewünscht, daß einer so weit ginge. Sie könne an eine simple Niederlage nicht glauben, sagt die Günderrode. Nur unbegabte Menschen brächten alles zu Ende. Manche Kapitulation zeige doch nur die Größe des Widerstandes an. Es gebe Fälle, da ein Plan scheitern müsse, der gleichwohl seine Berechtigung habe.
    Welche Fälle, sagt Kleist.
    Für Unlösbares gibt es keine Form.
    Sie erstaunen mich.
    Sie haben gedacht: ein Weib.
    Ressentiments?
    Lieber Kleist, sagt sie, so ein Wort hat es immer gegeben; man verbietet uns früh, unglücklich zu sein über unsre eingebildeten Leiden. Siebzehnjährig müssen wir einverstanden sein mit unserm Schicksal, das der Mann ist, und müssen für den unwahrscheinlichen Fall von Widersetzlichkeit die Strafe kennen und sie angenommen haben. Wie oft ich ein Mann sein wollte, mich sehnte nach den wirklichen Verletzungen, die ihr euch zuzieht!
    Sehn Sie nicht, wie unsre männliche Pflicht zu handeln uns unerfüllbar gemacht wird, daß wir nur falsch handeln können oder gar nicht! Während Sie wenigstens im Reich der Ideen schalten können, das man Ihnen zugeteilt hat.
    Die Ideen, die folgenlos bleiben. So wirken auch wir mit an der Aufteilung der Menschheit in Tätige und Denkende. Merken wir nicht, wie die Taten derer, die das Handeln an sich reißen, immer unbedenklicher werden? Wie die Poesie der Tatenlosen den Zwecken der Handelnden immer mehr entspricht? Müssen wir, die wir uns in keine praktische Tätigkeit schicken können, nicht fürchten, zum weibischen Geschlecht der Lamentierenden zu werden, unfähig zu dem kleinsten Zugeständnis, das die alltäglichen Geschäfte einem jeden abverlangen, und verrannt in einen Anspruch, den auf Erden keiner je erfüllen kann: Tätig zu werden und dabei wir selber zu bleiben?
    Wer spricht?
    Kleist weiß jetzt: Er wird nach Preußen gehn, ein Amt auf sich nehmen, sein Äußerstes tun, es auszufüllen. Der Frau zeigen, mit wem sie es zu tun hat.
    Doch bedenken Sie auch, Günderrode: Sehr wenigesschon, was wir für unerläßlich erklären, bringt uns heutzutage in den Verruf, alles oder nichts zu wollen. Dahin ist es gekommen. Schritt für Schritt gehn wir rückwärts.
    Es mag sein, doch entschuldigt es uns nicht. Sagen Sie selbst: Leben Sie ohne geheime Rückversicherung? Ohne die versteckte Hoffnung, Spätere würden Sie brauchen, wenn schon die Zeitgenossen auf Sie verzichten können? Und dürsten doch zugleich nach gegenwärtigem Ruhm?
    Schweigen Sie.
    Der Mann hält sich an Hilfskonstruktionen, darauf gefaßt, daß sie zusammenbrechen. Daß er weder das eine noch das andre erreichen, also scheitern wird. Daß er folgenlos bleibt, eine Randfigur. Eines Tages, wenn seine inständigen Versuche, in den Ordnungen, die es gibt, einen Halt zu finden, sinnlos geworden sind; wenn er fremd unter den Menschen umhergehn wird, unerkannt, krank von den Demütigungen, die ihm zweifellos bevorstehn, ohne Widerhall im Wichtigsten: dann erst wird er sich das Recht auf seine Leiden nehmen und zugleich das Recht, sie zu beenden. Das unvergleichliche Gefühl, wenn alle Stricke reißen.
    Sie entfernen sich, Günderrode. Wohin?
    Erlaubten Sie mir nicht, zu schweigen?
    Sie bleiben stehn, sie lehnt sich an eine Weide. Sie blicken über den Fluß. Die Sonne rollt kurz vorm Niedergang am Rand der jenseitigen Ebene über den Horizont, feuerrot. Sie sehn sie in Minuten verschwinden. Jetzt nicht mehr denken, nicht mehr reden müssen.
    Wovon sprachen wir?
    Wir sprachen von Ihrem Stück. Sie wollten es mir erläutern.
    Erläutern! – Jetzt will er es.
    Ein Mann, hört er sich sagen, auf der Höhe seines Ruhms und seiner Kraft, Robert Guiscard, Herzog der Normänner und Anführer ihres Heeres, muß gegen die Pest ankämpfen, die seine Männer hinrafft und die er selbst im Leibe hat.
    Was er leugnet?
    Er täuscht das Heer, das ein kranker Führer nicht beherrschen könnte, mißachtet alle Beschwörungen, die Pestkranken nicht selbst zu pflegen.
    Ganz wie Napoleon vor Akka, sagt die Günderrode.
    Lächelt sie?
    Dieses Monstrum, sagt Kleist. Der sich gegen jede Anfechtung gefeit glaubt.
    Und es bis jetzt auch ist – anders als Ihr Guiscard.
    Günderrode! Guiscard, ein Mann aus einem Guß, von seinem Willen regiert!
    Wie Napoleon von dem seinen.
    Der Besessene! Den seine Herrschsucht zerfrißt. Wogegen Guiscard sich selbst beherrscht zu einem Zweck außer ihm: das Reich der Normannen auf griechischem Boden zu errichten.
    Im Namen welcher
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