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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends
Autoren: Christa Wolf
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Zustimmung, ihre Komplicenschaft bleibt aus. Siesagt, als habe sie über etwas anderes nachgedacht: Sie, Kleist, nehmen das Leben gefährlich ernst.
    Eines Tages, Günderrode, wird er sich vor mir fürchten. Das wird unbequem für Sie sein.
    Sie schweigen.
    Und Sie, Günderrode? Sie wollen sich einreden, daß Sie sich mit Ihrer eingeschränkten Existenz versöhnen könnten?
    Dann erschrickt er. Undenkbar lange hat er die Grenze zu den verbotenen Bezirken eines andern nicht mehr verletzt. Ist er bedroht, daß er angreifen muß?
    ›Rot – Lebensfarbe und Todesfarbe.‹ Gedanke ohne Zusammenhang. Die Günderrode sieht sich in dem schwarzen Ordenskleid mit dem hohen steifen Kragen als Jüngste an der langen Tafel stehn, bis die Oberin das Zeichen zum Gebet und zum Beginn der Mahlzeit gibt. Die Erstarrung, die Angst davor. Sie hat den Ton im Ohr, der sie von allen gewöhnlichen Geräuschen abschirmt und ihr anzeigt, daß es Zeit ist, sich zurückzuziehn, die Vorhänge zu schließen und sich langzulegen auf das harte schmale Bett. Hinter geschlossenen Lidern dem Kopfschmerz die Herrschaft überlassen. Kälte der Gliedmaßen, schalltoter Raum. Der brandrote, im Pulsschlag vibrierende Punkt über der Nasenwurzel. Rückzug des verschmähten Körpers auf sich selbst. Und ihr geheimes Wissen, das Mittel gegen diese wehen Tage zu besitzen, ohne es noch brauchen zu können, weil es mehr schmerzen würde, als körperlicher Schmerz je schmerzen kann: den Grund für ihr Vergehen aussprechen. Durch Benennung bannen, auch töten. Der Tag, an dem sie den Namen für ihr Leid vor sich selber ausspräche, müßte ihr letzter sein.
    ›Du innig Rot, bis an den Tod soll meine Lieb dir gleichen . . .‹
    Günderrode, sprechen Sie nicht! Verzeihn Sie mir!
    Nicht doch. Auch eine eingeschränkte Existenz läßt sich dehnen bis zu ihren Rändern, die vorher unsichtbar sind. Nur das, wofür wir keine Sinne haben, ist uns verloren. Wem das Auge des Geistes aufgegangen ist, der sieht andern unsichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Alles, was das Gemüt anregt, erfrischt und erfüllt, ist mir heilig, sollte auch im Gedächtnis nichts davon zurückbleiben.
    Ist das Weisheit, Günderrode? Selbstbescheidung?
    Mir sind nicht allein durch meine Verhältnisse, auch durch meine Natur engere Grenzen in meiner Handlungsweise gezogen als Ihnen, Kleist.
    Sie haben den Ausgleich, das Gedicht. Gedichte sind ein Luxus der Glücklichen.
    Zu denen Sie sich nicht zählen.
    Nein.
    Sich im Gedicht unmittelbar auszusprechen, ist ihm versagt; sein Bedürfnis, Gefühl in Versen zu verströmen, sprengt die Riegel nicht, die vor gewisse Bezirke seines Innern gelegt sind. Im heiteren Lebensgenuß, im Lieben, im Gedicht ist ihm der Weimarer voraus. Ein Begünstigter. Undenkbar, der – als Waise, fast mittellos, und Lieutenant in der Garnisonstadt Potsdam, gebeugt unter das Exerzierreglement. Demütigungen; deren unleidlichste: andre demütigen müssen. Auf den haben die Umstände nie so barbarisch gedrückt, daß jeder Traum, ehe er noch entstand, an seiner Unerfüllbarkeit zugrunde ging und die Traumreste den Stoff zersetzten, aus dem Gedichte gemacht werden. Er traut sich nicht.Manchmal, sagt Kleist – irgend etwas an dieser Frau entzieht ihm wie ein Magnet die angreifbarsten Geständnisse –, manchmal ist es mir unerträglich, daß die Natur den Menschen in Mann und Frau aufgespalten hat.
    Das meinen Sie nicht, Kleist. Sie meinen, daß in Ihnen selbst Mann und Frau einander feindlich gegenüberstehn. Wie auch in mir.
    Was weiß sie von ihm. Wohin begeben wir uns.
    Wir können keine Voraussagen machen.
    Ich lache, Günderrode.
    Warum?
    Warum lacht man. Nicht aus Fröhlichkeit. Wie man bald aufhörn wird, aus Trauer zu weinen. Bald werden wir für alles, was uns überkommt, nur noch dieses Gelächter haben. Ein Höllengelächter wird uns, ich weiß nicht, wohin, begleiten.
    Wir werden nicht dabei sein, Sie und ich.
    Nein.
    Wenn man begreifen könnte, von welcher Art diese Strömung ist und warum sie so reißend wird. Ein Geschiebe wie von Eisschollen. Es ist, als stünd ich auf einer Scholle, im Eisgang, in absoluter Finsternis. Der Strom geht, ich weiß nicht, wohin, die Scholle neigt sich, einmal zu dieser, einmal zu jener Seite. Und ich, von Entsetzen durchdrungen, von Neugier, von Todesfurcht und vom Verlangen nach Ruhe, ich soll um mein Gleichgewicht kämpfen. Lebenslänglich. Und Sie, Günderrode, Sie sagen mir jetzt, wer solche Urteile über uns verhängt.
    Ein
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