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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Vorwort
    The Inimitable
, «der Unnachahmliche» – so nannte sich Dickens selbstironisch, doch voller Stolz, seit William Giles, sein erster Schullehrer, ihm 1836 aus Bewunderung eine silberne Schnupftabakdose mit der Gravur
The inimitable Boz
schickte. Damals war von Dickens nicht mehr als die unter diesem Pseudonym erschienenen
Skizzen von Boz
auf dem Markt, während sein in Fortsetzungen publizierter erster Roman
Die Pickwickier
noch im Erscheinen begriffen war. Deshalb gebührt dem jungen Lehrer und Baptistenprediger das Verdienst, als erster das Genie eines Mannes erkannt zu haben, dessen Name heute stellvertretend für eine ganze Epoche steht. Nur Shakespeare und Dr. Johnson werden in England als ähnlich repräsentativ für ihr Zeitalter empfunden.
    Dickens’ Name beschwört eine Welt von unverwechselbarer Eigenart, weshalb das Adjektiv
Dickensian
zu einem festen Bestandteil der englischen Sprache geworden ist. Mit seinen Romanen schuf er einen Kosmos, aus dem mehr unvergessliche Figuren in die Alltagsmythologie der Engländer übergegangen sind als aus den Werken aller übrigen Dichter der Insel, Shakespeare eingeschlossen. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts umgab ihn aber auch die negative Aura des bloß Populären und nicht ganz Seriösen. Anspruchsvolle Leser neigten dazu, zwar seine Genialität anzuerkennen, zugleich aber auf ihn als einen Erzähler von Märchen für Erwachsene herabzublicken.
    Es ist vor allem das Verdienst des amerikanischen Kritikers Edmund Wilson, dieses Fehlurteil korrigiert zu haben. Mit seinem 1939 gehaltenen Vortrag
Dickens: The Two Scrooges
leitete er eine Wende in der Dickenskritik ein, die danach – dank weiterer Arbeiten vorwiegend von Amerikanern wie Dorothy van Ghent, J. Hillis Miller und Mark Spilka – Dickens’ Werke nicht länger im viktorianischen Kontext, sondern eher in der Nähe Kafkas sah. Dieses neu erwachte Interesse, das 1970 in den Publikationen zum 100. Todestag kulminierte, ist inzwischen abgeflaut. In Deutschland war es gar nicht erst angekommen. Hier entspricht das allgemeine Dickensbild noch immer weitgehenddem seiner ersten Leser im 19. Jahrhundert. Für sie war Dickens der große Humorist und Sozialkritiker, der ein warmes Herz für die Mühseligen und Beladenen hatte und das Elend der Welt mit Humor zu lindern versuchte. Dass seine Werke nicht nur diese therapeutische Wirkung haben, sondern vor allem einen diagnostischen Blick in die
conditio humana
eröffnen, ist vom deutschen Lesepublikum bisher kaum erkannt worden. Da das vorliegende Buch zu dieser Sicht auf Dickens beitragen will, ist es nicht als reine Biographie, sondern als Monographie über Leben und Werk des Dichters angelegt.
    Mit Dickens-Biographien ist der englische Buchmarkt bestens versorgt. Schon kurz nach seinem Tod brachte sein lebenslanger Freund und Ratgeber John Forster eine heraus, in der Dickens selber ausgiebig zu Wort kommt, da Forster aus den über tausend Briefen zitiert, die der Freund an ihn schrieb. Weitere Meilensteine in der akribischen Erforschung von Dickens’ Leben sind die Biographien von Edgar Johnson, Fred Kaplan, Peter Ackroyd und die 2009 erschienene von Michael Slater, dem hervorragenden Dickens-Kenner und Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze über ihn. Weniger Beachtung bei der kritischen Zunft fand die 1979 erschienene Biographie von Norman und Jeanne Mackenzie, die sich als erste auf die kritische Edition der Briefe stützte und auf eine sehr leserfreundliche Weise das Leben des Dichters erzählt. Dass sie so wenig gewürdigt wurde, rührt wohl daher, dass schon neun Jahre später Fred Kaplan seine mit festerem Zugriff geschriebene Biographie folgen ließ. Deutschen Lesern steht nur die Biographie der Mackenzies in einer guten Übersetzung von Edmund Jacoby zur Verfügung. Sie enthält, trotz einiger Ungenauigkeiten, alles Wesentliche. Eine noch akribischere Lebensbeschreibung als die von Michael Slater zu schreiben erscheint dem Verfasser des vorliegenden Buches überflüssig und für deutsche Leser wohl auch von geringem Interesse. Was dagegen hierzulande fehlt, ist ein Dickensporträt, das zugleich eine Vorstellung vom literarischen Rang des großen Erzählers vermittelt.
    Beim biographischen Teil dieses Buches wäre es müßig gewesen, das von Slater gesichtete Material noch einmal an den Quellen zu überprüfen. Die wenigen Rätsel, die Dickens’ Leben aufgibt – hauptsächlich das seiner Beziehung zu Ellen Ternan –, werden sich nicht
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