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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends
Autoren: Christa Wolf
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ins Freie führt; denn was wir wünschen können, muß doch im Bereich unsrer Kräfte liegen, dachte er, oder es ist nicht ein Gott, der die Welt regiert, sondern Satan, und der hat sich in einer irren Laune ein Unwesen erschaffen, dessen Bestimmung es wäre, im Schweiße seines Angesichts sein eignes Unheil an einer Hexenkette aus dem Schoß der Zeit zu ziehn.
    Sein Blick trifft den Blick der Günderrode. Jetzt tut es ihm leid, daß er ihre Poesien nicht kennt. Es könnte der Mühe wert sein, ihre Unbedingtheit an der seinen zu messen. Vielleicht gibt es doch einen Menschen unter dem Himmel, dem er den Gram anvertrauen kann, der ihn aufzehrt. Man versteht nicht, was man nicht mit andern teilt.
    Goethe, sagt er, selbst überrascht, hat, irr ich nicht, lange nichts Poetisches hervorgebracht.
    Da lacht sie verständnisinnig.
    Manchmal, sagt er, ist mir schon der Verdacht gekommen, daß er, ich finde das Wort nicht gleich – lebensfremd ist.
    Was meinen Sie? So etwas wie das Lamento der Sanvitale, warum die Natur aus Tasso, dem Dichter, und Antonio, dem Staatsmann, nicht einen einzigen Menschen gemacht habe?
    Ja, dies! ruft Kleist. Etwas der Art. – Das Stammeln ist ihm lange vergangen. – Daß er schier Unmögliches für wünschbar ausgibt, dadurch für machbar.
    Hat es aber am eignen Leib erprobt.
    Und wird den Preis dafür bezahlt haben.
    Die Unzahl von Stunden, die er daran gewandt hat, mit diesem Menschen fertig zu werden, blind durch Liebe, scharfäugig durch Haß. Jede Demütigung vorgefühlt,die ihm der andre noch bereiten muß. Tollheit, sich den Stachel tief ins Fleisch zu treiben. Und jener? Wenn er mit heiler Haut davonkäme, unangefochten durch meine Existenz. Wenn es mir nicht gelänge, ihm meine Leiden heimzuzahlen. Ich werde ihm den Lorbeer von der Stirne reißen.
    Fürchten Sie nicht, der Maßstab, dem Sie sich unterwerfen, könnte Sie vernichten?
    Sie Günderrode, als Frau, können es nicht wissen, was Ehrgeiz ist.
    Das Wort ist ausgesprochen.
    Der Mensch, denkt die Günderrode, ist mir fremd, und in der Fremdheit nah. Ehrgeiz, sagt sie, als horche sie dem Wort nach.
    Denken Sie nicht gering von der Furie, Günderrode. Wollen Sie Ihr Leben von Furien gejagt durchlaufen! Wollen! Sie machen mich lachen.
    Ihnen erscheint es wie ein eisernes Muß. Ich übe mich darin, was ich muß, auch zu wollen.
    Und verschaffen sich so die Illusion der Freiheit.
    Nach ihrer Beobachtung, sagt sie, schärfe sich der Ehrgeiz der Begabten an der Ungunst der Verhältnisse, der Ehrgeiz der Unbegabten an ihrem verzerrten Selbstgefühl.
    Gut gegeben. Und welcher Sorte schlagen Sie mich zu? Das weiß ein jeder von sich selbst.
    Nein, Günderrode! Sehn Sie nicht manchen sein Unglück auf einer Selbsttäuschung gründen? Und selber nichts davon merken, ums Verrecken nicht?
    Ist wahr, sagt sie. Unsere Blindheit. Daß wir nicht wissen können, wohin unsre Abweichungen von den Wegen uns führen. Daß die Zeit uns verkennen muß,ist ein Gesetz. Aber ob das, was wir uns herausnehmen, eines ferneren Tages zu einer gewissen Geltung kommt . . .
    Kleist fragt sich, wann und auf welche Weise die dunkle Farbe in sein Leben gekommen ist und sich darin ausgebreitet hat wie schwarze Tinte in einem Gefäß mit klarem Wasser. Er erinnert sich – doch so, als denke er an einen Fremden – der Sonntage während seiner Offizierszeit, als er von Potsdam aus mit drei Freunden über Land zog und in Dorfgasthäusern zum Tanz aufspielte. Das war in einem andern Leben. Selbst die Fähigkeit, sich dahin zurückzuwünschen, ist ihm vergangen. – Ob die Frau neben ihm, die lange zu schweigen versteht, die eine Frage auf sich beruhn lassen kann, die gleichen Brechungen von Grün in den Schatten sieht, welche die Weiden werfen? Ob der Fluß, der beinah stillzustehn scheint, auch für sie diesen metallischen Glanz hat, den die Sonne nur um diese Stunde erzeugt durch ihre Stellung zur Erde. Alles ist erklärbar. Er sieht sich und sie aus einer beträchtlichen Entfernung, als stünde er, während er neben ihr geht, zugleich auf einem erhöhten Beobachterposten, als skurrile Figuren am Ufer des Rheins, passables Sujet für ein Aquarell. Aber würde ein Maler imstande sein, die Abtrennung eines jeden von sich selbst, vom andern, von der sie umgebenden Natur aufs Papier zu bringen? – Das ist uns vorbehalten, denkt Kleist.
    Und wissen Sie auch, warum der Alte in Weimar keine Tragödie zustande bringt?
    Nun?
    Er fürchtet sich davor. Das ist es.
    Ihre
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