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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends
Autoren: Christa Wolf
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Die arge Spur, in der die Zeit von uns wegläuft.
    Vorgänger ihr, Blut im Schuh. Blicke aus keinem Auge, Worte aus keinem Mund. Gestalten, körperlos. Niedergefahren gen Himmel, getrennt in entfernten Gräbern, wiederauferstanden von den Toten, immer noch vergebend unsern Schuldigern, traurige Engelsgeduld.
    Und wir, immer noch gierig auf den Aschegeschmack der Worte. Immer noch nicht, was uns anstünde, stumm. Sag bitte, danke.
    Bitte. Danke.
    Jahrhundertealtes Gelächter. Das Echo, ungeheuer, vielfach gebrochen. Und der Verdacht, nichts kommt mehr als dieser Widerhall. Aber nur Größe rechtfertigt die Verfehlung gegen das Gesetz und versöhnt den Schuldigen mit sich selbst.
    Einer, Kleist, geschlagen mit diesem überscharfen Gehör, flieht unter Vorwänden, die er nicht durchschauen darf. Ziellos, scheint es, zeichnet er die zerrissene Landkarte Europas mit seiner bizarren Spur. Wo ich nicht bin, da ist das Glück.
    Die Frau, Günderrode, in den engen Zirkel gebannt, nachdenklich, hellsichtig, unangefochten durch Vergänglichkeit, entschlossen, der Unsterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern.
    Daß sie sich getroffen hätten: erwünschte Legende. Winkel am Rhein, wir sahn es. Ein passender Ort.
    Juni 1804.
    Wer spricht?
    Weiße Handknöchel, Hände, die schmerzen, so sind es meine. So erkenne ich euch an und befehle euch, loszulassen,um was ihr euch klammert. Was ist es. Holz, schön geschwungen, Lehne eines Sessels. Der Sitzbezug schimmernd, in ungewisser Farbe, silberblau. Glänzendes Parkettmosaik, auf dem steh ich. Menschen zwanglos über den Raum verteilt, wie das Gestühl, in schöner Anordnung. Das verstehn sie, man muß es ihnen lassen. Anders als wir in Preußen. Üppiger, feiner. Geschmack, Geschmack. Sie nennens Kultur, ich Luxus. Höflich bleiben und schweigen, die kurze Zeit.
    Diesen Monat, das ist ausgemacht, denkt Kleist, will ich zurück. Still doch. Wie mir zumute ist, geht keinen was an, mich selbst am wenigsten. Ein Witz, auf den ich mir was zugute hielt, wär er von mir. Gelegentlich will ich den armen Hofrat damit erschrecken.
    Ich folg ihm wie ein Lamm, Widerspruch ist ein Krankheitszeichen. Reisefähig? Ei gewiß, Doktor Wedekind soll seinen Willen haben. In Gottes und in des Teufels Namen, ich bin gesund. Gesund wie jener Narr am Felsen, Prometheus. Der lebt tausend Jahre und länger. Es juckt mich, den Doktor zu fragen, wo dies Organ sitzt, das nachwächst, und ob er es mir nicht herausnimmt, die Geier zu ärgern. Keine plumpen Vertraulichkeiten mit der Götterwelt. Sterblich sein, frommer Wunsch. Faxen. Wovon diese hier, in ihrer heitern Gegend, nichts wissen. Daß ich mich nicht unter sie mischen kann. Zu Tee und Unterhaltung, hieß die Einladung. Die Wand hinter mir, gut. Diese Helligkeit. Linkerhand die Fensterreihe, weite Aussicht. Ein paar Dorfhäuser im Vordergrund, an abfallender Straße. Baumbestandenes Wiesengelände. Der Rhein dann, träger Fluß. Und fern, scharf umrissen, der flach schwingende Höhenzug. Drüber, unwissendes Blau, der Himmel.
    Das Fräulein am Fenster verstellt mir den Blick auf die Landschaft.
    Ja: Die unbedingte Richtigkeit der Natur. Die Günderrode, überempfindlich gegen das Licht, bedeckt die Augen mit der Hand, tritt hinter den Vorhang. Wert ist der Schmerz, am Herzen der Menschen zu liegen, und dein Vertrauter zu sein, o Natur! All die Tage über geht mir die Zeile nicht aus dem Kopf. Der verrückte Dichter. Zuspruch suchen bei einem Wahnsinnigen – als wüßt ich nicht, was das bedeutet. Schon denk ich, ich hätt im Stift bleiben solln, im gründämmrigen Zimmer, auf dem schmalen Bett, dem Kopfweh zuvorkommen, anstatt, im bös holpernden Wagen von Frankfurt her, schweigsam zu sein, abweisend, den andern die Stimmung zu stören. Man läßt mich jetzt, duldet meine Entfernung, als Grille, verlangt nichts weiter, als daß ich mich grillenhaft zeige, von Zeit zu Zeit. Doch zu Verstellung und Entgegenkommen fehlt mir ein für allemal die Lust. Ich fühle zu nichts Neigung, was die Welt behauptet. Ihre Forderungen, ihre Gesetze und Zwecke kommen mir allesamt so verkehrt vor.
    Der Druck auf der Brust, seit dem Morgen schon, seit dem Traum, der jetzt wieder auftaucht. In einer Gruppe von Personen ging sie in einem kargen sanften Gelände, fremd und zugleich vertraut, in ihrem weißen fließenden Kleid, zwischen Savigny und der Bettine. Savigny hob plötzlich einen Bogen an die Wange, spannte ihn, zielte mit stumpfem Bolzen. Da sah
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