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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition)
Autoren: Erri De Luca
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’ A I URNATA È ’NU MUORZO , ein Tag ist schnell gegessen, das ist die Stimme von Meister Errico an der Tür zu seiner Werkstatt. Ich bin schon seit einer Viertelstunde da, um meinen ersten Arbeitstag gut zu beginnen. Er kommt um sieben Uhr, zieht den Rollladen hoch und sagt zur Aufmunterung seinen Satz: Ein Tag ist schnell gegessen, er ist kurz, auf geht’s. Zu Befehl, antworte ich, und so ist das gewesen. Heute schreibe ich den ersten Bericht, um von den neuen Tagen etwas festzuhalten. Ich gehe nicht mehr zur Schule. Ich bin gerade dreizehn geworden, und Papa schickt mich jetzt zum Arbeiten. Das ist recht so, es ist an der Zeit. Die Schulpflicht geht bis zur dritten Grundschulklasse, er hat mich bis zur fünften lernen lassen, weil ich ein bisschen krank war, und außerdem hatte ich so einen besseren Schulabschluss. Hier in der Gegend gehen die Kinder auch ohne Schule arbeiten, Papa hat das nicht gewollt. Er ist Hafenarbeiter, ist nie zur Schule gegangen, erst jetzt lernt er in den Abendkursen der Genossenschaft Lesen und Schreiben. Er spricht Dialekt, die italienische Sprache schüchtert ihn ein, genauso wie das Wissen der Leute, die was gelernt haben. Er sagt, mit Italienisch kann man sich besser wehren. Ich verstehe Italienisch, weil ich die Bücher aus der Bibliothek lese, aber ich spreche es nicht. Ich schreibe auf Italienisch, weil es still ist und ich die Ereignisse des Tages darin aufbewahren kann, wo sie sich vom Lärm des Neapolitanischen ausruhen.
    E NDLICH ARBEITE ICH, für wenig Geld zwar, aber am Samstag bringe ich Lohn nach Hause. Es ist Sommeranfang, morgens um sechs ist es kühl, wir frühstücken alle beide, und dann ziehe auch ich meine Arbeitsjacke an, gehe mit ihm zusammen nach draußen, begleite ihn ein Stückchen, dann kehre ich um, denn die Werkstatt von Meister Errico liegt in der Gasse, in der unser Haus steht. Zum Geburtstag hat Papa mir ein gebogenes Stück Holz geschenkt, es heißt Bumerang. Ich halte es in der Hand, ohne nachzufragen, ich verspüre ein Kitzeln, einen kleinen Stromschlag. Papa erklärt, dass man es weit fortwirft und dass es dann zurückfliegt. Mama ist dagegen: »Ma addò l’adda ausa’?« , und wo soll ich es benutzen? Sie hat recht, in diesem Viertel aus kleinen Gassen, das Montedidio heißt, findest du kaum einen freien Fleck zwischen den Füßen, wenn du auf die Erde spucken willst. Hier ist nicht mal genug Platz, um ein Stück Wäsche aufzuhängen. In Ordnung, sage ich, ich kann ihn nicht fliegen lassen, aber ich kann die Bewegung üben, mit der man ihn wirft. Er ist schwer, als ob er aus Eisen wäre. Mama schenkt mir ein Paar lange Hosen, sie hat sie auf dem Markt von Resina gekauft, gute Ware, amerikanisch. Sie sind hart, dunkel, ich ziehe sie an und mache die Bewegung, mit der ich sie mir über den Knien zurechtzupfe. »Mò si’ommo, puort’ e sorde a casa« , ja, samstags bringe ich den Lohn nach Hause, doch von hier bis zum Mannsein, mò si’ ommo , da fehlt noch etwas. Erst mal ist die Stimme weg, und ich klinge heiser.
    P APA HAT DEN B UMERANG von seinem Freund, einem Matrosen. Das ist kein Spielzeug, kein Schnickschnack, es ist das Werkzeug eines uralten Volkes. Während er erklärt, mache ich mich mit der Oberfläche vertraut, fahre mit der Hand darüber, streichle es längs der Maserung. Von Meister Errico lerne ich die Richtungen des Holzes, seine Linien laufen längs und quer zur Faser. Ich streiche über den Bumerang, seiner gebogenen Form entlang, und er zittert ein bisschen in meiner Hand. Das ist kein Spielzeug, aber auch kein Arbeitsgerät, er ist irgendetwas dazwischen, er ist eine Waffe. Ich will lernen, sie zu gebrauchen, ich will für einen Wurf trainieren, heute Nacht, wenn Mama und Papa eingeschlafen sind. Ich habe gesehen, dass es im Italienischen zwei Wörter gibt, sonno und sogno , Schlaf und Traum, während das Neapolitanische nur eins hat, suonno . Für uns ist beides dasselbe.
    I CH HABE DAS H OLZLAGER AUSGEFEGT , und da sind die Flöhe über mich hergefallen. Sie sind auf meine Beine losgegangen, bei der Arbeit trage ich kurze Hosen, ganz schwarz sind sie geworden. Ich war nackt, und Meister Errico hat mich vor der Werkstatt mit der Pumpe gewaschen. Das war lustig. Gut, dass Sommer ist. Wir haben das Giftpulver ausgestreut, im Lager gab es sogar Ratten, »’o súrece, ’o súrece« , hat der Meister geschrien, er hat Angst vor Ratten, ich nicht. Dann habe ich meinen Lohn bekommen, er hat das Geld vor mir abgezählt und es
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