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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt
Autoren: Robert Tibber
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meinigen dank sachgemäßer Sterilisation der Nährapparatur stark zurückgegangen sei. Ich würde ihm von den neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet der Prothesen, den Fortschritten der Thoraxchirurgie und den plastischen Operationen erzählen, die so vielen Kriegsverwundeten das Leben wieder lebenswert gemacht hatten. Vielleicht würden wir auch miteinander die akuten Infektionskrankheiten des Kindesalters erörtern, mit denen er sich damals abmühen mußte, einer langen Liste, die mit Diphtherie begann und mit Pocken endete.
    Ich konnte fast das ungläubige Lächeln meines Vorgängers sehen, während ich die unentgeltlichen sozialen Dienstleistungen im heutigen England auf zählte. Ich hätte ihm viel zu berichten gehabt: von den Spitälern mit ihrem. Park von Autos und Ambulanzen, den Frauenkliniken, Strahlenbehandlungen, ambulanten Abteilungen, wo jedem Patienten Konsultation und Gutachten der ersten Spezialisten zur Verfügung standen, den pathologischen Laboratorien und Forschungsstellen, die der Vermeidung aller zweifelhaften Diagnosen dienten. Damit nicht genug, brachte doch ein Telefonanruf Gemeindeschwestern oder auch Haushelferinnen zu den Kranken und Invaliden; es gab staatliche Erholungsstätten und viele neue Heime zur Pflege alter Menschen und Geisteskranker. Ich hörte förmlich, wie der Arzt im viktorianischen Anzug, dem ich im Geiste dies alles berichtete, ein erstauntes »Ahh...« ausstieß, als er vernahm, daß jetzt nicht nur Operationen, Mütterberatung und Säuglingspflege Pflichtleistungen des Staates waren, sondern, daß heute auch Brillen, Gebisse und Verbandmaterial umsonst geliefert werden. Ja, unsere Praxismethoden schienen nicht um Jahrzehnte, sondern um Jahrhunderte auseinanderzuliegen, und zweifellos war meine Aufgabe weitaus leichter, als die seine es gewesen sein mußte.
    Da ich mit Aufräumen immer langsamer vorwärtskam, überraschte es mich nicht sonderlich, daß es sechs Uhr schlug, als ich das letzte verstaubte Buch in die randvolle letzte Schachtel warf. Meine Hände und mein Hemd waren schwarz, meine Kehle trocken wie ein Sandstrand, von der Sonne ausgedörrt. So war ich mehr als froh, als ich plötzlich auf der Schwelle die allgegenwärtige Mrs. Little gewahrte, die mir mit mitfühlender Miene eine Tasse Tee entgegenhielt. Ich hatte mittlerweile bereits eingesehen, daß unter ihrem etwas einschüchternden Äußeren manch lobenswerte Eigenschaft steckte, wie etwa die, zur rechten Zeit am rechten Ort eine Tasse heißen Tees hervorzuzaubern.
    Nach kurzer Pause schleppten wir zusammen die büchergefüllten Schachteln auf die Diele hinaus, von wo sie an einem anderen Tage auf den Estrich befördert werden sollten.
    Mrs. Little hatte unterdessen im Wartezimmer mit spartanischer Strenge gewaltet, und wenn es auch noch wenig freundlich wirkte, so war es doch zum mindesten sauber. Sie schien von der gehabten Anstrengung kaum mitgenommen, denn schon schleppte sie von neuem Wasser herbei und schickte sich an, dem Sprechzimmer die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen.
    »Seit Jahren jucken mich die Finger danach, hier mal ordentlich dreinzufahren«, bemerkte sie. »So’n Haufen alter Schmöker - so was kann ja nicht gesund sein!«
    Ich begab mich in die kleine Apotheke hinter dem Sprechzimmer. Der alte Arzt hatte, wie es vor dem Inkrafttreten der nationalen Gesundheitsfürsorge üblich war, seine Arzneien selbst ausgeben müssen, und als Teil der angetretenen Erbschaft blieb mir sein Handwerkszeug - Flaschen über Flaschen, Fläschchen über Fläschchen, ganz gefüllt, halb gefüllt, mit eingetrocknetem Inhalt. Ich beschloß, das Ausräumen der oberen Wandfächer für ein andermal aufzusparen, und beschränkte mich vorläufig darauf, unten ein wenig Platz zu schaffen und auch das fahrbare Wägelchen sowie den Spülstein abzuräumen. Da mir keine Pappschachteln mehr blieben, holte ich den Kehrichteimer und begann, über ihn hinweg vor- und zurückkletternd, alles Überflüssige hineinzuwerfen. Manche der Instrumente vermochte ich nicht einmal zu identifizieren, so rostverzehrt und veraltet waren sie. Andere, die noch eine entfernte Ähnlichkeit mit gewissen auch heute noch benutzten aufwiesen, erkannte ich zwar, warf aber auch sie pietätlos in den Eimer. Es war eine nicht unbefriedigende Beschäftigung. Mit viel Geklirr, Schmettern und Krachen schleuderte ich alles in den Abfallkessel: chirurgische Messer, Dilatatoren (mindestens drei Garnituren) und altmodische Spiegel. Der
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