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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt
Autoren: Robert Tibber
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Ergehen der Patienten. Ich hatte nun allein nicht nur meine Augen und Ohren offenzuhalten, sondern mußte auch meine Zunge brauchen lernen. Jetzt war es notwendig, sich jene undefinierbare Eigenschaft zu erwerben, ohne die man im Spital gut auskommen konnte, die von uns Engländern so treffend »bedside manner« genannte Kunst, sich im Krankenzimmer taktvoll und richtig zu benehmen.
    In der Allgemeinpraxis bildet, wie ich alsbald herausfand, die Heilung des Patienten von seiner wirklichen oder eingebildeten Krankheit nur einen Teil der Behandlung. Man erwartete vielmehr von mir, daß ich etwa im Lauf eines Krankenbesuchs nach dem jüngsterschienenen Enkel fragte, ein Mittel gegen die Ameisen vorschlug, die sich tückisch durch Fensterritzen einschlichen, mein Spezialrezept gegen Fußpilz aufschrieb, damit man es brieflich an Kusine Ethel in Wigan weitergeben konnte, oder ein Stück des eben gebackenen Kuchens versuchte. Um mich überhaupt ein bißchen durchzusetzen, mußte ich schleunigst lernen, mit den Leuten zu reden, mein im Spital geübtes Distanzhalten, meine Art von überlegenem Schweigen, aufzugeben und natürlich und ungezwungen zu plaudern. Zuerst kam mich dies alles schwer an, aber nachdem ich es einen Monat lang mit Kindern, Schülern, Mammis, Vatis, Opas und Omas und alten Tanten zu tun gehabt hatte, gingen mir die jeweils passenden Bemerkungen immer leichter über die Lippen. Es dauerte nicht lange, bis ich den richtigen Tonfall heraus hatte, um jung und alt ohne eine Spur von Scheu oder Verlegenheit die richtige Antwort auf die Preisfrage der Ärzte: »Ist Ihr Stuhlgang in Ordnung?« zu entlocken. Ich lernte, mit Großvater über die gute alte Zeit zu sprechen, mit der Tochter über den neuesten Schlagersänger zu seufzen, der Mutter gut zuzureden, wenn sie erklärte, die Arbeit wachse ihr über den Kopf, und den alten Damen mit galantem Handkuß zu versichern, sie »sähen besser aus als je«.
    Ja, mein unverbindliches Gespräch schien nie zu versiegen. Ich plauderte von diesem und jenem, während ich die nötige Behandlung oder Untersuchung vornahm. Ich vergaß bald immer mehr meine anfängliche Schüchternheit, während mein freundschaftliches Verhalten wahrer und echter wurde und ich mich allmählich für einen Bestandteil im Dasein meiner Patienten halten durfte.
     
    Dies alles lag jedoch jetzt noch im Schoße der Zukunft. Als ich an jenem bezaubernden Morgen mit dem Auto zum erstenmal vor meinem neuen Heim hielt, konnte ich einfach nicht glauben, daß Gott es zulassen könnte, Krankheit oder Leiden zu dulden. Der Grasstreifen am Straßenrand leuchtete in zartem Grün, und in den säuberlich abgeteilten Vorstadtgärten verkündeten die gelben Osterglocken den jungen Frühling. Unter einem Himmel, der weder das dunkle, tiefe Blau des Sommers noch die trübe, violette Färbung des Herbstes hatte, sondern eine Art leichter, verheißungsvoller Blässe aufwies, mußte ich einen Augenblick anhalten, um mein glänzendes Messingschild am Pfosten der Gartentür zu betrachten. Ich fragte mich, was die Jahre wohl bringen mochten, ehe das leuchtende Messing stumpf wurde und Moos an dem Pfosten emporkroch.
    Mit einem Schlage wurde ich mir meines Namens bewußt, der da zum ersten Male so nackt an einer Straßenecke prangte.
    Das Haus war groß, solid gebaut und ziemlich altmodisch. Es war jene Art von Haus, wie es junge Eheleute gerne kaufen, um dann gleich die Wand zwischen der riesigen Küche und dem winzigen Frühstückszimmer abzutragen und eine »Wohnküche« daraus zu machen. Die Häuser hier herum waren ziemlich billig, weil der Bezirk - obwohl die Bewohner dies nicht für ihr Leben zugegeben hätten - nicht als »fein« galt. Die Straße war jetzt gerade menschenleer, aber ich fühlte, daß ich durch die teilweise etwas angeschmutzten Tüllvorhänge beobachtet wurde. Das halb aus den Angeln geratene Gartentor quietschte, als ich es aufstieß, und das Plättchenpflaster hatte mehrere Lücken. Ich begriff plötzlich, daß ich nicht nur ein praktischer Arzt unter eigener Verantwortung geworden war, sondern zugleich auch Hausbesitzer. Als solcher würde ich fortan in Gesellschaft meiner Nachbarn den Samstagnachmittag damit zubringen, Gras zu mähen, Büsche zu beschneiden, Tore zu ölen und sonst herumzuwirtschaften. Mein Hausbesitzer-Auge gewahrte, daß die Dachtraufe eingebeult war, die Fenstersimse geölt werden mußten und die Fenster des Sprechzimmers zum Teil durch eine rankende, wuchernde
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