Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt
Autoren: Robert Tibber
Vom Netzwerk:
greise Vorgänger war sicher ein Hamsterer medizinischer Altertümer gewesen, denn ich fand kleine Trichter, große Trichter, zerbröckelnde Gummischläuche, unbrauchbare Katheter, Schmelztiegel, zersprungene Meßgefäße, vier Stößel nebst ungezählten Mörsern, Spritzen, leere Ampullen, lange Wachszündhölzer und säurezerfressene Nierenschalen, Pinzetten und Klammern und einen jämmerlichen Augenspiegel. Der Abfalleimer war bereits voll, aber mir wollte nicht scheinen, daß sich das Kämmerchen wesentlich geleert hätte. Im Augenblick konnte ich einfach nicht mehr tun. Ich gelobte mir innerlich, nie soviel Plunder zur Plage meines Nachfolgers anzuhäufen. Dann rief ich Mrs. Little, die noch immer im Sprechzimmer scheuerte, zu, sie solle mir helfen, den vollgeladenen Kehrichteimer fortzuschaffen. Um neun Uhr abends ließen wir uns schließlich in schweigendem Einverständnis - denn zum Sprechen waren wir beide zu erschöpft - in der Küche zu einem improvisierten Nachtessen nieder.
    Nach flüchtiger Besichtigung des oberen Stockwerks gewann ich den Eindruck, daß ich die imponierende Wahl zwischen fünf Schlafzimmern hatte; bei näherer Überlegung erwies sich jedoch, daß nur eines davon - nämlich dasjenige meines Vorgängers - in Frage kam, weil sich darin das Telefon befand. Das Zimmer war so groß, daß unzählige Personen darin Platz gefunden hätten; das Bett konnte gut ihrer vier beherbergen. Mit dem Nahen des Sommers war die Aussicht auf soviel Luft zwar ganz angenehm, doch beschloß ich, vor Einbruch des Winters das Telefon in eines der kleineren Zimmer verlegen zu lassen.
    Ich war zu abgekämpft, um meine Kleider und sonstigen Sachen auszupacken, und lobte im stillen meine Mutter, die mir beim Einpacken ein reines Hemd, Krawatte und Unterzeug samt allem, was zur Morgentoilette gehört, in einem Handköfferchen »für den ersten Tag« zurechtgelegt hatte. Ich sank nach einer kalten Dusche -den Boiler hatten wir noch nicht in Betrieb gesetzt - ins Bett. Auf den Nachttisch hatte ich meine Uhr, mein Auroskop, das mir in Notfällen als schwachleuchtende Taschenlampe diente, einen Leitfaden des Golfspiels und Sylvias Bild gelegt. Zu abgespannt, um mich vom Autor des Buches über die Feinheiten des Spiels belehren zu lassen, verschränkte ich die Arme hinter dem Kopf und betrachtete Sylvia. Sie schaute mich so vorwurfsvoll an, daß selbst dieser papierene Blick zu mir sprach und es mir im Magen ganz elend wurde. Es war erstaunlich, daß ich nach dem, was geschehen war, sie immer noch so heftig liebte. Und doch hatte nichts, was sie gesagt, nichts, wozu sie mich getrieben hatte, mein Gefühl für sie im geringsten abzuschwächen vermocht, sondern es eher noch verstärkt. So war es nun einmal.
     
    Sylvia und ich kannten uns über ein Jahr. Wir lernten uns sechstausend Meter über dem Erdboden kennen, dort, wo Wälder wie dunkelgrüne Steppdecken, Großstädte wie Ameisenhaufen und Flüsse wie Silberfäden erscheinen. Wir flogen damals beide von Italien heim, sie von der Arbeit, ich aus den Ferien. Über den Teebrettern auf unserem Schoß schlossen wir Bekanntschaft. Ich tauschte mein Schinkenbrot gegen ihren Fruchtsalat aus, und als wir auf dem Londoner Flugplatz landeten, waren wir ineinander verliebt. Zwischen dem atemberaubend herrlichen Montblanc, auf dessen schneebedecktem Gipfel die Sonne lag, und den weißen Klippen Dovers entdeckten wir eine beidseitige Liebhaberei für »fettucine alla romana«, eine Vorliebe für Luftreisen, weil man so am schnellsten ans Ziel kam, und eine Abneigung gegen komische Opern.
    In den nachfolgenden Monaten wurde Sylvia zu einer von meinen Kollegen sehr gewürdigten Erscheinung im Umkreis des Spitals, und ich ein nicht zu umgehender lästiger Bursche im Umkreis der Portale vornehmer Modehäuser, in denen Sylvia tätig war. Zusammen unternahmen wir alltägliche Dinge wie Spaziergänge im Park, Theaterbesuche und Händehalten in Cafes, weniger alltägliche Dinge wie Segelfahrten mit unserer gemieteten »Feuerfliege«, und törichte Dinge, als da sind: alle hundert Schritt stehenbleiben und sich küssen. Unser Glück war völlig ungetrübt, bis ich Sylvia bat, mich zu heiraten. Sie schaute mich nur aus ihren Lapislazuli-Augen traurig an, weinte und sagte, das könne sie nicht. Worauf ich glaubte, der Grund sei einzig der, daß ich als Spitalassistent nicht genug Geld verdiene. Sylvia war an die guten Dinge des Lebens gewöhnt, daher beschloß ich, meine ursprüngliche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher